Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)
fühlte sie sich immer mehr wie ein Soldat im Schützengraben. Das war doch alles Irrsinn. »Du willst nachts hier herumlaufen? Ist das nicht gefährlich wegen der Flics, die den Senat bewachen?«
Die Finger seiner freien Hand strichen beinahe unmerklich ihren Rücken hinab und wieder herauf. »Lass das meine Sorge sein. Wenn du endlich still bist, wird uns kein Mensch entdecken.«
Ach, ich plappere also. Sie schoss ihm einen bösen Blick zu und merkte, wie das Licht unter dem Gesträuch bereits schwand.
»Sophie?«
»Was?«
Er küsste ihre vom Aufstützen spitze Schulter. »Dreh dich um.«
Sie schüttelte nur den Kopf. Sich wie ein Igel unter Büschen zu verstecken, war nicht das, was sie sich erhofft hatte.
»Wir hätten uns auch in den Brunnen legen und nur die Nasen herausschauen lassen können«, meinte Rafe leise. »Oder soll ich ein Bettlaken um dich drapieren und dich als antike Statue zu den anderen stellen?«
Die Vorstellung, wie sie auf einem Podest stand und mit einer Hand ein Laken vor der Brust zusammenraffte, während sie mit der anderen eine dramatische Geste vollführte, war zu komisch. Prustend unterdrückte sie ein Lachen, bis ihr auffiel, dass Rafe auf einen unausgesprochenen Gedanken geantwortet hatte. »Woher …«
»Schsch!« Rasch legte er ihr eine Hand auf den Mund und nahm sie mit einem Streicheln wieder fort.
Erschrocken hörte sie den Grund. Ganz in der Nähe knirschten Schritte auf dem sandigen Weg.
»Hast du das eben auch gehört, Lavall?«, fragte jemand.
»Könnte sein, aber hier ist doch weit und breit niemand«, gab eine weibliche Stimme zurück. »Vielleicht kam’s von der Straße rüber.«
»Nein, das kam von hier.« Die Schritte kamen noch näher.
Sophie spähte in die Richtung und wand sich innerlich. Durch die Zweige konnte sie das helle Uniformhemd leuchten sehen. Musste dann nicht umgekehrt auch Rafes T-Shirt zu erkennen sein? Was sollte sie den Wachleuten nur sagen? Ihr Blick suchte Rafes, doch er hatte die Augen geschlossen. Verwirrt sah sie ihn an. Wie konnte er so ruhig sein? Unnatürlich ruhig. Seine Hand lag reglos auf ihrem Rücken. Wenn sie es nicht besser gewusst hätte, hätte sie geschworen, dass er aufgehört hatte zu atmen. Eine Stille ging von ihm aus, die sich über sie legte wie fallender Schnee. Die Welt um sie herum verstummte – das Zwitschern der Vögel, das ferne Brausen des Verkehrs, das Rascheln des Laubs, selbst ihr eigener Atem, der ihr einen Augenblick zuvor noch verräterisch laut wie ein Blasebalg vorgekommen war … Alles kam zum Erliegen. Die Dunkelheit unter dem Gesträuch verdichtete sich. Lag es am Schatten des Wachmanns, der vor den Büschen stand und sich aufmerksam umsah?
»Hm, hier ist wirklich nichts«, brummte er. »Aber ich könnte schwören, dass ich Stimmen gehört habe.«
»Es kam bestimmt doch von der Straße«, erwiderte seine Kollegin Lavall. »Die Bäume werfen den Schall manchmal zurück wie ein Echo.«
Schritte entfernten sich langsam. »Ist dir das auch schon aufgefallen? Würde mich mal interessieren, woran das liegt. So ein Baum ist schließlich …«
Sophie hörte nicht länger zu. Obwohl sie in der Finsternis kaum noch etwas von seinem Gesicht erkennen konnte, starrte sie Rafe an, der die Augen öffnete. »Wer bist du?«, flüsterte sie.
»Der, den du liebst.«
Verzaubert von der allumfassenden Stille, die noch immer ihr Inneres ausfüllte, liebte sie ihn mehr als je zuvor. Seine Lippen fanden die ihren und verführten sie dazu, sich auf die Seite zu drehen. Auf einen Arm gestützt erwiderte sie den Kuss, doch auch das erwies sich als zu unbequem, bis sie sich halb auf den Rücken rollen ließ. Endlich konnte sie ihn umfangen, berauschte sich an seiner Nähe, seiner Wärme, dem Duft seines Haars und seiner Haut, den festen Armen, die sie hielten. Instinktiv drängte sie sich enger an ihn, als er sich über sie lehnte, hieß das Gewicht seines Körpers auf ihrem mit einem sehnsüchtigen Seufzen willkommen. Ihre Hüfte schien unter der seinen zu zerfließen. Wie von selbst öffneten sich ihre Beine seinem drängenden Oberschenkel. Sie schob die Hände unter sein T-Shirt, wollte beseitigen, was sie noch trennte.
Verwundert merkte sie, wie sich Rafe zurücknahm.
»Es ist zu früh«, flüsterte er an ihrem Ohr. »Weder die richtige Zeit noch der richtige Ort.«
»Was?« Sollte das ein schlechter Scherz sein? Sie verlangte mit jeder Faser nach ihm, und er stieß sie zurück? Ihr war, als hätte sich
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