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Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Der Kuss des Engels: Roman (German Edition)

Titel: Der Kuss des Engels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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wissen, nur dass sie andere seiner Facetten kannte.
    Vielleicht treibt er sich im L’Occultisme herum, überlegte Sophie und schlug die Richtung der Buchhandlung ein. Im Grunde war ihr bewusst, dass ein so kleiner Laden um diese Uhrzeit wahrscheinlich nicht mehr geöffnet hatte, aber es war ein Handel, den sie mit sich selbst schloss. Sollte sich auch das als Reinfall erweisen, würde sie in den sauren Apfel beißen und anrufen. Ganz gleich, ob er sie dann beschimpfte, einfach auflegte oder gar nicht erst abnahm. Sie sagte sich, dass er nichts dergleichen tun würde, weil es nicht zu ihm passte. Doch sicher sein konnte sie nicht. Schließlich hatte sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen und eindeutig Rafes Partei ergriffen. Was er auf den Einfluss des Dämons schieben wird. Wahrscheinlich war sie für ihn eine reuige Sünderin, die es willkommen zu heißen galt. Der Gedanke streifte sie, dass er womöglich Priester war. Nun ja, kein Pfarrer, wie sie ihn aus der Kirche in Hedelfingen kannte, aber vielleicht ein Seelsorger für die Obdachlosen und andere Gestrandete, die nachts Beistand brauchten. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Nein, wie ein Beichtvater hatte er nicht gewirkt. Dafür, dass sie dann seine Schutzbefohlenen waren, hatte er auch zu wenig Interesse an den Clochards gezeigt.
    L’Occultisme hatte geschlossen. Durch die matten Scheiben sah sie hinter der Auslage nur Dunkelheit. Doch im ersten Stock, wo sie die Bibliothek wusste, brannte noch Licht. Saß Jean dort oben und las? Sie hatte wenig Hoffnung, dass man es eine Etage höher hören würde, aber sie klopfte dennoch an die Tür. Im selben Moment entdeckte sie die runde, mindestens fünfzig Jahre alte Klingel daneben und läutete. Es dauerte nicht lange, bis in der Tiefe des Ladens Licht aufleuchtete, vor dem sich die Regale schwarz abhoben. Der blasse junge Mann, den sie schon bei ihrem ersten Besuch hier angetroffen hatte, öffnete. Offenbar hatte er zu einer mürrischen Bemerkung angesetzt, die er herunterschluckte, als er sie erkannte. »Ach, du, äh …«, war alles, was er herausbrachte, bevor Sophie ihm ins Wort fiel.
    »Bonsoir! Tut mir leid, dass ich noch störe, aber ist Jean zufällig da?«
    »Äh, nein, der ist heute gar nicht hier gewesen.«
    »Können Sie mir vielleicht sagen, wo er wohnt? Ich muss ihn unbedingt sprechen.«
    »Ja, also, ich weiß nicht, ob …«
    … ihm das recht ist, ergänzte Sophie in Gedanken. Natürlich. Sie würde auch nicht jedem einfach so Laras Adresse geben.
    »Einen Moment«, bat der Buchhändler, schloss die Tür und ging an die Theke.
    Sophie beobachtete, wie er ein Handy aus der Hosentasche zog und ans Ohr hob. Na toll! Wie peinlich ist das denn? Schamrot wartete sie auf den Stufen, bis er wieder an die Tür kam.
    »Geht in Ordnung«, sagte er und hielt ihr einen Zettel mit einem Straßennamen unter die Nase, den sie noch nie gehört hatte.
    »Rue Saint-Louis en l’Île? Wo ist das?«, erkundigte sie sich, während sie ihm den Zettel abnahm.
    Ihr Gegenüber sah sie an, als hätte sie gefragt, in welcher Stadt sie sich befand. »Île Saint-Louis natürlich.«
    Jean wohnt auf der Île Saint-Louis?, wunderte sie sich, während sie durch die von Touristen wimmelnden Gassen des abendlichen Quartier Latin dem Seineufer zustrebte. Hatte sie ihn so falsch eingeschätzt? Oder verbarg sich eine kompliziertere Geschichte dahinter? So oder so hatte sie nicht erwartet, dass er ausgerechnet in einer der teuersten Ecken von Paris lebte. Wovon bezahlte er die astronomisch hohe Miete?
    Sie überquerte die kleine Pont au Double, deren Verlängerung direkt auf den Vorplatz der Notre-Dame mündete, doch Sophie bog vorher rechts ab, um den Weg durch den Park zu nehmen, der sich längs der Kathedrale und oberhalb des gemauerten Ufers erstreckte. Von hier aus hatte sie Blick auf die Restaurantschiffe, die am gegenüberliegenden Kai vertäut waren. Es kam ihr vor, als läge ihre Suche nach der Lumière de Lutèce schon eine halbe Ewigkeit zurück. So viel war geschehen, dass sie kaum Zeit gehabt hatte, über die Ereignisse nachzudenken. Was war aus ihrem Verfolger mit der Sonnenbrille geworden? Nervös sah sie sich um, doch keiner der anderen Spaziergänger kam ihr bekannt vor. Nachdem er sogar herausgefunden hatte, wo sie wohnte, hatte sie das Schlimmste befürchtet. Stattdessen war er seitdem verschwunden. Hoffentlich bleibt es dabei!
    Hinter dem von filigranen Stützstreben und Bögen wie von Zuckerwerk

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