Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
Vom Netzwerk:
kleines, rundes Gesicht war vom Schreien fleckig. Einen Augenblick lang betrachtete er die Besucher ebenso neugierig wie sie ihn. Dann griff er sich ans Ohr, ließ sein Gesicht in die Halsbeuge der Frau fallen und stieß ein raues, erbärmliches Heulen aus.
    Die Frau sah sie mit unfreundlichen Augen an. »Was zum Teufel soll das, um drei Uhr früh an irgendwelche Türen zu klopfen?«
    Carling sagte: »Wir suchen das Orakel.«
    »Und das konnte nicht bis sieben warten?«, fauchte die Frau. Sie tätschelte den kleinen Rücken des Jungen und ließ ihn auf und ab wippen – dabei wirkte sie so müde wie jemand, der das schon seit einer ganzen Weile tat. »Zur Hölle, wenigstens bis sechs? Was haben Sie überhaupt für ein Problem? Sehen Sie nicht, dass ich ein krankes Baby auf dem Arm habe? Gehen Sie weg und kommen Sie zu einer anständigen Zeit wieder.«
    »Sie sind das Orakel?«, fragte Khalil.
    Der Dschinn klang so überrascht, wie Carling war und Rune aussah.
    »Haben Sie einen goldenen Schrein und eine Schar Jungfrauen in plissierten weißen Laken erwartet?«, fragte die junge Frau. »Ja, ich bin das Orakel.«
    Carling zog die Brauen hoch und blickte an der Frau vorbei, hinein in eine Katastrophe von einem Wohnzimmer. Auf dem verschrammten Holzfußboden lag ein schäbiger Teppich, der mit Spielzeug übersät war. Collegebücher und Kaffeetassen stapelten sich auf dem ebenso schäbigen Mobiliar. Auf einem Sessel stand ein Weidenkorb, in dem sich ungefaltete Wäsche zu einem hohen Berg türmte. Das Haus roch säuerlich nach Babyerbrochenem.
    Auch die junge Frau sah sich um. »Ich weiß«, sagte sie mit einem bitteren Lächeln. »Schöne Scheiße, was?«

19
    »Sie müssen uns Asyl gewähren, wenn wir darum bitten. Lassen Sie uns rein«, sagte Carling.
    Die müden, haselnussbraunen Augen der Frau verengten sich. »Sie wollen diese Karte wirklich jetzt gegen mich ausspielen. Ehrlich?«
    Rune sagte: »Wir können auch in ein paar Stunden wiederkommen.«
    Carling sah ihn an. Sein Gesicht war weiß, die Lippen blutleer. Seine Augen wirkten zerschlagen. Hartnäckig schüttelte sie den Kopf. »Wissen Sie, wer ich bin?«, fragte sie das Orakel.
    Das Gesicht der Menschenfrau spannte sich. »Ich erkenne Sie«, sagte sie. »Jedenfalls weiß ich, wer Sie und der Wächter sind. Wer er ist«, sie deutete mit dem Kinn auf Khalil, »weiß ich nicht.«
    »Rune ist verletzt«, sagte Carling. »Ich muss mich um ihn kümmern. Sobald ich damit fertig bin, kann ich Ihrem Jungen helfen. Wenn Sie wissen, wer ich bin, werden Sie auch wissen, dass ich das kann.«
    Das Orakel sah Rune erneut an, diesmal genauer, und auf seiner Miene zeigte sich widerwilliges Mitgefühl. Die Frau stieß die Tür weit auf und trat zurück.
    Carling wartete nicht ab. Sie marschierte ins Haus und direkt zu dem Sessel, wo sie den Wäschekorb auf den Boden stellte. »Komm«, sagte sie sanft zu Rune. »Setz dich und lass mich dich ansehen.«
    Rune ging zu dem Sessel und ließ sich hineinsinken. Seine Bewegungen waren steif und ohne seine übliche Anmut. Hinter ihnen schlenderte Khalil ins Haus. Carling fand keinen Anhaltspunkt dafür, was im Kopf des Dschinns vorging, während dieser sich mit neugierigen Blicken im Wohnzimmer umsah, und ebenso wenig wusste sie, warum er noch nicht wieder verschwunden war. Vielleicht wartete er auf eine Gelegenheit, endgültig die Details für den Gefallen festzulegen, den sie ihm nun schuldete.
    Auf jeden Fall hatte sie nicht die Energie, sich über Khalils merkwürdiges Verhalten den Kopf zu zerbrechen. Stattdessen kniete sie sich vor Rune auf den Boden, legte die Hand an seine Wange und flüsterte einen Zauberspruch, der seine Verletzung betäuben würde. Sofort lösten sich die angespannten Linien in seinem Gesicht. Er nickte ihr dankbar zu. »Ich kann jetzt warten«, sagte er. »Geh und erlöse das arme Kind von seinem Elend.«
    »Ist gut.« Sie stand wieder auf und wandte sich dem Orakel und dem schluchzenden Baby zu. »Wie heißt er?«
    Auf Carlings freundliche Frage hin öffnete sich ein Schleusentor. Ängstlich sagte das Orakel: »Max. Ich glaube, er hat eine Ohrenentzündung. Heute Abend war er zimperlich und wollte sein Abendessen nicht essen. Dann ist er vor ein paar Stunden weinend aufgewacht, er hat Fieber und hat sich gerade erbrochen, und ständig zieht er an seinem rechten Ohr, als würde es wehtun. Ich habe gerade überlegt, ob ich ihn in die Ambulanz bringen soll, aber seine Schwester Chloe schläft tief und fest,

Weitere Kostenlose Bücher