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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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Nettigkeit nett sein.
    Jetzt zog sich in ihrer Brust etwas zusammen. Bestürzt presste sie eine Hand auf ihr Brustbein. Sie kannte ihren eigenen Körper nicht mehr. Sobald sie in der Nähe dieses Mannes war, verriet er sie auf tausend unerklärliche Arten.
    Sie zwang sich, zu sagen: »Vielen Dank, dass du hierbleibst, um mir zu helfen.«
    Sechs Meter von ihr entfernt holte er Luft. Dann erwiderte er ruhig: »Mehr als gern geschehen, Carling. Es ist mir ein Vergnügen, für dich zu tun, was in meiner Macht steht.«
    Diese Worte. Er gab sie ihr einfach so, wie ein Geschenk, und sie waren so viel gütiger, als sie es verdiente. Sie ergriff die Flucht, bevor ihr Körper sie noch auf andere Weise verraten konnte.
    Ohne Carlings quälende, ablenkende Gegenwart in der Küche fand Rune erst richtig in den Text hinein. Außerdem aß er das kalte Fleisch bis auf den letzten Bissen auf – und gütige Götter, es war ziemlich furchtbar. Irgendwie hatte sie es geschafft, an der simplen Aufgabe, Hähnchenfleisch in einer Pfanne zu braten, zu scheitern. Außen war es schwarz verkohlt und innen troff es vor Saft, der noch rosa war. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er sich Sorgen wegen einer Salmonellenvergiftung gemacht. Aber Rune war kein Mensch, er war nicht wählerisch beim Essen, und er hatte in seinem Leben schon so manche schauderhafte Mahlzeit verdrückt.
    Als er damals gelernt hatte, seine Gestalt zu verändern und Kontakte zu anderen Spezies zu knüpfen, hatte sich auch sein Geschmack verändert. Aber eigentlich hatte er kein Problem damit, rohes Fleisch zu essen, wenn es nötig war, und er hatte schon eine Menge Lagerfeuerunfälle überstanden.
    Wieder musste er kichern, als er daran dachte, dass sie das Fleisch für ihn abgekühlt hatte wie für den Hund. Dann erinnerte er sich an ihre Körperhaltung, als er vom Nett-Sein gesprochen hatte, und daran, wie sie den Blick und das Gesicht abgewandt hatte. Sein Lachen erstarb.
    Die Gesellschaft der Wyr und die der Vampyre konnten gleichermaßen grausam sein. Manchmal ließen sich Konflikte nur gewaltsam beilegen. Alle Wächter waren Vollstrecker der Wyr-Gesetze, doch als Dragos’ Erster Mann war Rune der ultimative Vollstrecker. Wenn Dragos aus irgendeinem Grund einmal nicht selbst dazu in der Lage sein sollte, läge es in Runes Verantwortung, sogar die anderen Wächter zu jagen und zu erledigen, sollten sie abtrünnig werden. Die anderen Wächter waren seine Freunde, Partner und Kriegskameraden. Er war froh, dass es nie so weit gekommen war, doch er vergaß auch nie die Verantwortung, die seine Position mit sich brachte.
    Trotzdem war Rune meist ein äußerst gelassener Mann und freigiebig mit seinem Lachen und seiner Zuneigung. Er gehörte zu einer äußerst seltenen Lebensform – ein echter Kerl, der ohne Probleme zugeben konnte, dass er Frauenfilme und Damenmode mochte. Diese Dinge brachten bei Frauen etwas zum Vorschein, das er liebte: die mysteriösen Höhen und Tiefen ihrer Emotionen und das Erblühen staunender weiblicher Freude, wenn eine Frau ein neues Outfit anprobierte und vor dem Spiegel zum ersten Mal feststellte, dass sie wirklich und wahrhaftig schön war.
    Seinem bisherigen Eindruck nach war Carling weder mit ihrem Lachen noch mit ihrer Zuneigung freigiebig. Sie weckte kein Bedürfnis danach, sie tröstend zu umarmen. War das früher anders gewesen, oder war ihr Leben wirklich so brutal und unerbittlich verlaufen? Er runzelte die Stirn. Die Narben, von denen ihr Körper überzogen war, erzählten ihre eigene Geschichte.
    Sich vorzustellen, wie sie beispielsweise mit einer Freundin kicherte, fiel ihm nicht leicht. Rhoswen betete sie eindeutig an, und es war offenkundig, dass auch Duncan etwas für sie empfand, doch soweit er das beurteilen konnte, basierten diese Beziehungen nicht auf tiefer Gegenseitigkeit. Er vermutete, dass sich die meisten Frauen von ihr bedroht fühlten, und das zu Recht. Das Leben hatte Carling zu einer blanken, tödlichen Waffe geschliffen, zu einer zweischneidigen Klinge, die einem die Hand abtrennte, wenn man es wagte, sie zu benutzen und dabei ungünstig zu fassen bekam.
    Zum Führen dieser Waffe war die harte, feste Hand eines Mannes nötig, der wusste, wann er fest zupacken und wann er loslassen musste. Eine solche Waffe beherrschte niemand. Wenn man Glück hatte, konnte man ihren Respekt gewinnen, ihr Vertrauen, ein Bündnis oder die Einwilligung in eine Zusammenarbeit.
    Carling hatte sich so gut abgeschirmt und ihr

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