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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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nicht genau, was »das Ende« war oder was geschah, wenn ein Vampyr es erreichte. Möglicherweise wusste Carling es selbst nicht oder hatte es zumindest bis zu jenem Punkt ihrer Forschungen nicht gewusst, an dem er seine Lektüre unterbrochen hatte.
    Carlings Text war chronologisch aufgebaut, und ein Bereich, in dem sie besonders penibel vorging, war die Aufzeichnung von Datum und Uhrzeit jedes Ereignisses und jeder Entdeckung. Sie übersprang nichts und fiel nie zurück. Wenn sie sich auf frühere Daten bezog, gab sie knapp Datum und Uhrzeit an. Es war eine hinreichend einfache Methode, Querverweise zu ziehen, wenn man keine Software für Fußnoten verwendete. Allerdings bremste es den Lesefluss, da Rune zwischen den Einträgen hin- und herblättern musste, um die Zusammenhänge zu erfassen.
    »Wie oft treten diese Schübe auf?«, fragte Rune.
    »Beinahe täglich«, sagte Rhoswen mit erstickter Stimme. »Deshalb hasse ich es so, sie allein zu lassen. Was, wenn sie einen solche Schub hat, während sie gerade für den verdammten Hund kocht? Oder wenn sie den Zauber abgelegt hat, der sie vor der Sonne schützt? Sie sitzt immer so nah am Rand des Schattens. Was, wenn sich während eines ihrer Schübe der Sonnenstand ändert?«
    Er fluchte leise. Tägliche Schübe waren kein gutes Zeichen. In Carlings mündlichen Überlieferungen hatte ein Vampyr einen solchen Punkt erreicht, und nur wenige Wochen später war er verschwunden. War er einfach zu Staub zerfallen? Normalerweise kämpften sterbliche Wesen gegen den Tod an. Ihre Herzen verfielen in Arhythmien, das Atmen fiel ihnen schwer. Wenn Vampyre von der Sonne getötet wurden, gingen sie in Flammen auf und litten entsetzliche Qualen. Wenn sie auf anderem Wege getötet wurden, zerfielen sie zu Staub.
    Sie erreichten eine Treppenflucht und liefen, drei Stufen auf einmal nehmend, hinauf. Unter Rhoswens Arm gab Rasputin keinen Laut von sich und drehte den kleinen, fuchsartigen Kopf stets so, dass er Runes Bewegungen verfolgen konnte.
    »Von jetzt an lassen wir sie nicht mehr allein, einverstanden?«, sagte Rune.
    Sie nickte. »Einverstanden. Wächter – ich mag seit Ihrer Ankunft nicht besonders gastfreundlich zu Ihnen gewesen sein, aber ich bin dennoch froh, dass Sie hier sind. Das sollten Sie wissen.«
    Rhoswen hatte beim besten Willen noch nie einen gastfreundlichen Eindruck gemacht, aber er wollte nicht ausgerechnet jetzt bissig zu ihr sein. Stattdessen sagte er: »Machen Sie sich keinen Kopf deswegen. Aber nennen Sie mich bitte nicht mehr Wächter, wären Sie so nett?«
    Die Vampyrin warf ihm einen kurzen, verblüfften Blick zu. Er zwinkerte ihr zu und machte ein unsicheres Geräusch, das irgendwo zwischen einem Husten und einem Lachen lag. Als sie auf dem obersten Treppenabsatz angekommen waren, legte Rune ihr eine Hand auf den Arm. Sie blieb stehen, und er sah sie mit festem Blick an, in dem kein Funken Humor lag.
    »Wir sollten darauf vorbereitet sein, dass Carling nicht überleben wird«, sagte er. Als er es laut aussprach, verkrampften sich seine Muskeln, doch er zwang sich, ruhig weiterzureden. »Aber ich verspreche dir, wir werden alles daransetzen, damit sie es doch tut.«
    Rhoswens Lippen zitterten. »Danke.«
    Er nickte und ließ ihren Arm los. Sie wandte sich um und führte ihn durch den Flur im ersten Stock zu einer hölzernen, mit Schnitzereien verzierten Doppeltür am Ende des Gangs. Rhoswen öffnete einen der Türflügel, und Sonnenlicht – etwas, das wie Sonnenlicht aussah – fiel aus dem dahinterliegenden Raum durch den größer werdenden Spalt.
    Rune hielt nicht inne, um nachzudenken. Mit festem Griff packte er Rhoswen an der Schulter und riss sie zurück, weg von dem Licht.
    Sie stolperte und hielt den Hund fest an sich gepresst, während sie sich gehetzt umsah. »Was ist los? Was ist passiert?«
    Mit schneidender Stimme sagte er: »Es tut mir leid. Es war ein Reflex. Das hier sieht aus wie Sonnenlicht, aber es kann keines sein, denn die Sonne geht gerade unter, und im Haus ist es beinahe dunkel. Aber was ist es?«
    »Wovon sprichst du?« Rhoswen starrte ihn an. »Welches Licht denn?«
    Er atmete tief ein und wieder aus, dann deutete er auf die halb geöffnete Tür. »Es fällt Licht aus diesem Zimmer, sehr helles, kräftig gelbes Licht, das aussieht wie Sonnenschein. Willst du mir sagen, du siehst es nicht?«
    »Nein, ich sehe es nicht«, sagte Rhoswen. Jetzt war auch in ihren Augen das Weiße zu sehen, genau wie bei dem Hund. Sie sah nicht mehr

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