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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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das die Luft gefrieren ließ.
    Rune erstarrte, den Arm noch immer nach Carling ausgestreckt. Dann brandete heiß wie eine Sonneneruption seine eigene magische Energie auf, und obwohl sie genug Macht in den Zauber gelegt hatte, um die Hälfte der Vampyre von San Francisco erstarren zu lassen, wusste sie, dass er nicht stark genug war, um diesen Wyr lange halten zu können.
    Sie war nie dazu gekommen zu erforschen, welche Zauber gegen Greifen wirkten. Eines Tages würde sie das vielleicht bereuen.
    Wut pulsierte in seiner Aura wie die Druckwelle einer Thermonuklearexplosion. Langsam setzte er sich in Bewegung.
    Sie starrte ihn an und ließ sich einen Schritt zurückfallen. Dann drehte sie sich um und rannte.
    Zuerst lief sie aufs Haus zu. Dann dachte sie an Rhoswens erdrückende, gekränkte Ergebenheit und Rasputins fieberhafte Verehrung und änderte die Richtung. Schneller als ein Mensch jemals würde laufen können, rannte sie den Pfad entlang, der an den Klippen vorbei zum anderen Ende der Insel und in den Redwood-Wald führte. Überall fiel das Licht der Abendsonne in Streifen auf den Boden und verwandelte die idyllische Szenerie in ein tödliches Gefängnis aus Licht.
    Als sie jung war, hatte man sie gelehrt, dass sie aus vielen Teilen bestand, aus ihrer Seele, ihrem Herzen, ihrem Schatten, ihrem Namen und ihrem Geist.
    Wie viele Teile davon konnte man verlieren, ohne zu sterben? Als Kind hatte sie ihre Familie und ihre Freiheit verloren. Dann ihren Namen. Nur ein paar Jahre später verlor sie ihren Atem, und ihr Herz hörte auf zu schlagen. Dann verlor sie fast alle Personen in ihrer Umgebung, nicht nur einmal, sondern sehr oft. Mit jeder Entscheidung, die sie zugunsten von magischer Energie, Berechnung, Politik, ihrem Überleben und Kriegen traf, hatte sie über die Jahrhunderte Teile ihrer Seele verloren. Ihr Geist kam ihr hauchdünn und zerfetzt vor.
    Sie blickte zu Boden. Ihr schwacher, wendiger Schatten floh vor ihr, als wollte er dem albtraumhaften Gespenst entkommen, das aus ihr geworden war.
    Was, wenn ihr Schatten das einzig Reale war, das noch von ihr übrig war? War sie am Ende nichts weiter als ihre Magie und der Wille, zu überleben? Wenn sie den Schutzzauber löste, würde sie in Flammen aufgehen. Doch im Gegensatz zu einem Phönix würde sie keine Wiedergeburt erleben. Wie ein angerissenes Streichholz würde sie einfach abbrennen und für immer erlöschen.
    Sie könnte es tun. Sie würde nicht sanft entschlafen, sondern in einem strahlenden, sonnenhellen Feuer verglühen, ohne dass es jemand mitbekam. Ihr Tod mochte einsam sein, genauso, wie es ein Großteil ihres Lebens gewesen war, aber er wäre ihre freie Wahl, ihre Entscheidung. Ihre. Sie wollte es selbst in der Hand haben, so wie sie ihr Leben selbst in die Hand genommen hatte.
    Eine Wolke schob sich vor die Sonne. Sie war so dicht, dass sie Carlings Schatten verschwinden ließ. Sie sah auf.
    Es war keine Wolke, sondern ein riesiger gold- und bronzefarbener Greif, der über sie hinwegsegelte. Wie viel Kraft nötig sein musste, um diesen schweren, muskulösen Körper in der Luft zu halten, überstieg ihre Vorstellungskraft, und doch wirkte sein Flug so mühelos.
    Sie ballte die Hände zu Fäusten. Er war eine ungezügelte Unmöglichkeit, eine ungeheure Laune der Natur.
    Ein störrischer Esel war er.
    Sie füllte ihre Lungen mit Luft und stieß einen Schrei aus. Als Antwort erschallte der schrille, wutentbrannte Ruf eines Adlers.
    Diese ganze verdammte Insel war nicht groß genug für sie beide. Also gut. Sie hatte geschworen, dass sie es tun würde, und überhaupt – wenn er nicht gehen wollte, würde sie es eben tun. Sie bog scharf nach links ab, beschleunigte und sprintete mit aller Kraft über die Kante der Klippen.
    Der Wind pfiff in ihren Ohren. Während sie fiel, schmiedete sie bereits Pläne. Sie würde nach San Francisco zurückschwimmen. Ihre Rückkehr würde Julian nicht gefallen, denn sie hatte sich mit dem König der Nachtwesen darauf geeinigt, dass sie sich zum Sterben auf die Insel zurückzog. Aber Julian würde sich damit arrangieren müssen. Und Rhoswen war durchaus in der Lage, die Passage mit dem Hund allein zu bewältigen.
    Carling drehte sich in der Luft, um kopfüber ins Wasser zu tauchen, und sah die schaumig weißen Spitzen der Wellen auf sich zurasen. Sie streckte beide Arme danach aus und bereitete sich mit grimmiger Befriedigung auf den Kälteschock beim Eintauchen vor.
    Unmittelbar vor dem Auftreffen rissen harte

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