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Der Kuss des Greifen (German Edition)

Der Kuss des Greifen (German Edition)

Titel: Der Kuss des Greifen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Harrison
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Schulter betten und ihre Arme an seiner Taille spüren, wenn sie seine Umarmung erwiderte. Aber dieses verdammte Hinweisschild produzierte fleißig weiter Text. Jetzt stand da: Noch nicht, Sohn. Hier ist noch Betreten verboten. Also streichelte er den Hund und tat gar nichts.
    Schließlich wandte sich Carling um und warf Rune einen verwirrten Blick zu. Sie fühlte sich noch nicht in der Lage, sich mit ihm zu befassen. Die makellosen Konturen seines Profils mit den kühnen Wangenknochen, der kräftigen Nase und dem hageren Kiefer zeichneten sich so klar gegen die aufgewühlte Gischt des Meeres ab. Er wirkte so geduldig und ruhig, dass es in scharfem Gegensatz zu dem Chaos stand, das in ihr tobte. Er sah aus, als könnte er für alle Zeit so dastehen und auf das warten, was er wollte. Was auch immer das sein mochte.
    Statt sich zu ihm umzudrehen, wandte sie sich dem Inselinneren zu. Sie blickte zu ihrem düsteren, verrückten Gothic-Haus hinauf und fragte sich, ob sie es wohl je wiedersehen würde. Sie spürte einen Stich, dann ließ sie los, und wieder war es eine Erleichterung.
    Sie sah sich nach Rune um. »Bereit?«
    Sie sah, wie er tief einatmete und nickte. »Jepp«, sagte er. Dann drehte er sich zu ihr um. »Und du?«
    Erst das Melodram mit Rhoswen, dann ihr ganzer innerer Aufruhr – und jetzt das. Jepp. Plötzlich musste sie lächeln und nickte.
    Er schlenderte zu ihr, und auf einmal war er da: Der Schnappschuss, den sie von ihm machen wollte, um ihn für die Ewigkeit festzuhalten. Diese unbekümmerte Art, mit der er seinen großen Körper in Bewegung setzte, der entschlossene Ausdruck in seinen Augen, der in solchem Kontrast zu der trügerischen Schläfrigkeit in seinem Gesicht stand. Und dann begriff sie, dass er diesen schläfrigen, entspannten Ausdruck dann trug, wenn er auf der Pirsch und am allergefährlichsten war.
    »Du machst mir nichts vor«, flüsterte sie.
    Rune schenkte ihr sein berühmtes Rockstar-Lächeln, bei dem einem das Herz stehen blieb. »Du denkst zu viel nach. Wo soll der Hund hin?«
    Sie nahm Rasputin, wickelte ihn in Runes zerrissenes T-Shirt und packte ihn sanft in den wasserfesten Behälter. Rune rieb sich den Nacken und wand sich, während er zusah. Sie sagte: »So kann er vollkommen sicher reisen.«
    »Ich verstehe schon«, sagte er. »Er braucht im Moment nicht zu atmen. Es sieht nur so beunruhigend aus.«
    »Da ich keine kleine Tauchermaske hatte, fiel mir keine andere Möglichkeit ein, ihn durch die Passage zu bringen.« Sie streichelte das weiche Ohr des Hundes. »Und so belastet ihn die Reise nicht. Es ist, als würde man auf einer Autofahrt ein Nickerchen machen. Er schläft einfach ein und wacht woanders wieder auf.«
    Runes Gesicht wurde weicher. »Du liebst ihn.«
    Carling hielt den Kopf gesenkt und sicherte die Befestigung. »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich.«
    »Und wie du ihn liebst. Er ist dein kleines Schnuffelschätzchen.«
    Sie lachte schnaubend. »Ja, wahrscheinlich ist er das.«
    »Wer hat sich um ihn gekümmert, als du mit Rhoswen nach Adriyel gereist bist?« Rune fasste den Behälter am Gurt und schwang ihn sich über die Schulter.
    »Wenn ich verreise, sieht mein Hauspersonal nach ihm. Ich fände es nicht fair, das auf Dauer von ihnen zu erwarten, deshalb hatte ich Rhoswen gebeten, jemanden anzustellen, der sich um ihn kümmert. Aber ich glaube, wir sollten ihn fürs Erste im Stadthaus absetzen, wenn wir in San Francisco sind.«
    »Sehe ich auch so. Das gibt uns Bewegungsspielraum.« Er streckte ihr seine freie Hand entgegen, und sie zögerte nur einen Augenblick. Dann legte sie ihre Hand in seine, und gemeinsam schritten sie ins Meer.
    Das Wasser war so kalt, dass sich ein ungeschützter Mensch binnen Minuten unterkühlt hätte. Rune fand es so erfrischend, wie er es sich vorgestellt hatte. Besser als eine kalte Dusche. Die Tiefe der Übergangspassage, die in einer Spalte am Meeresgrund verlief, schätzte er auf etwa hundertachtzig Meter. Es war sehr dunkel, doch vor seinem geistigen Auge leuchtete die Passage klar und deutlich.
    Während sie hindurchschwammen, fragte er sich, was er dabei empfand. Es war ihm vollkommen vertraut. Ob unter Wasser oder an Land, Passagen wie diese hatte er schon unzählige Male durchquert. Und es fühlte sich beinahe genauso an wie das, was er während Carlings Schüben erlebt hatte, bis auf diese gewisse Krümmung, das Gefühl, um eine Ecke zu biegen.
    Oder vielleicht war es eher so, als würde man ein Blatt Papier falten.

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