Der Kuss des Greifen
streifte der Nymphe Blick auch Thanatos. Auf wessen Seite stand die geheimnisvolle Nymphe? Immerhin kämpfte ihr Bruder jetzt gegen die Schwester ihres Geliebten.
Lysandra war kurz abgelenkt, als ein gewaltiger Vogel an ihr vorbeirauschte. Nein, es war eine weitere Harpyie, die gierig auf Sirona herabsah. Sie wollten doch nicht etwa .... Nein, sie wollten es doch. Diese abscheulichen Kreaturen wollten Sirona fressen!
Kers Gelächter durchdrang die Luft, als sie Lysandras Schulter traf. Ihr Schwert streifte ihre Stirn. Blut lief Lysandra in die Augen. Ihre Sicht verschwamm. Ihr Schrei vermischte sich mit einem anderen.
Mit gezücktem Schwert und einem Kampfschrei auf den Lippen stürmte Aiolos vor. Er traute sich jedoch nicht, der Harpyie einfach die Gurgel durchzuschneiden. Zu groß war die Gefahr, Sirona dabei zu verletzen oder gar zu töten. Dabei bedeutete ihr Leben ihm alles. Bei Deimos und Phobos, er hatte sich in eine Katze verliebt!
Wenn andererseits die Harpyien Sirona wieder mitnahmen, war sie ohnehin todgeweiht. Schnell und möglichst schmerzarm zu sterben war also nicht das Schlimmste, was ihr widerfahren konnte. Schon erhoben sich die Unheilsvögel in die Lüfte. Aiolos warf seinen Speer und traf eine davon am Flügel. Die Harpyie wollte die Katze an ihre Schwester weiterreichen, doch Aiolos sprang in die Höhe und griff nach Sirona.
Die Harpyie ließ sie nicht los. »Wir können sie auseinanderreißen, Menschlein. Dann bekommt jeder ein Stück von ihrem zarten Fleisch.« Aello lachte kreischend und attackierte Aiolos. Sie rammte ihm die Klauen in den Rücken.
Warmes Blut lief über seine Haut und durchtränkte sein Gewand. Doch jetzt war er ihr nahe genug. Er schwang sein Schwert herum und zog es über der Harpyie graufaltigen Hals. Eine klaffende Wunde erschien, aus der Blut hervorschoss und über die geflügelte Kreatur, sowie die Katze in ihren Klauen floss.
Aello wollte nach ihm hacken, doch er duckte sich und entriss Sirona der Harpyie. Die Katze lag schlaff in seinen Armen. Sie war ein blutbesudeltes Bündel. Er befürchtete, dass die Harpyie sie mit ihren Klauen verletzt hatte und sie tot war oder im Sterben lag.
Aiolos floh, den kraftlosen Katzenleib in den Armen, vor Aello, die bereits ausholte, um ihn erneut mit den Klauen zu attackieren.
»Welch ehrenhafter Kampf! Die Klepshydra, die Wasseruhr, zeigt es mir: Celtillos, der Boier, hat sich lange genug gegen Euch gehalten, doppelt so lange wie jeder andere zuvor«, erklang die Stimme der Nymphe mit dem geheimen Namen. »Dies sollte honoriert werden.«
Thanatos hielt im Kampf inne. »Wenn Ihr mich nicht erneut angreift, so lass ich es auf ein Unentschieden herauslaufen, solange Ihr Euch damit in der Menschenwelt nicht brüstet.«
»Warum tut Ihr das?«, fragte Cel den Tod. Er war sich allzu bewusst, dass Thanatos ihn besiegen würde, sollte der Kampf fortgesetzt werden.
»Weil ich trotz aller Strenge gerecht und manchmal großmütig bin. Ihr habt ohnehin keine wirkliche Aussicht gegen mich, denn ich hole jeden. Doch habt Ihr doppelt so lang wie jeder andere zuvor im Kampfe gegen mich durchgehalten. Daher schenke ich Euch das Leben, vorausgesetzt, Ihr verlasst das Schattenreich sehr bald. Eure Begleiter nehmt mit. Verschweigt, was Ihr hier gesehen habt, sonst werde ich Euch holen müssen, und kehrt nicht wieder zurück, bevor Eure Zeit gekommen ist.«
»Ich danke Euch, ehrwürdiger Thanatos.«
»Dankt nicht mir, denn der Tod hat noch jeden geholt. Zeit ist für mich, der ich der Repräsentant der Ewigkeit bin, nicht von Bedeutung.«
Der Tod als Repräsentant der Ewigkeit war eine interessante Interpretation. Doch hielt Cel es für klüger, nicht mit Thanatos darüber zu debattieren, wenn er denn schon so gnädig gestimmt war. Man sollte sein Glück nicht auf die Probe stellen.
»Ihr dürft ihn nicht begnadigen!«, rief Ker. »Dies beweist nur wieder, dass Ihr aufgrund Eurer Sanftheit Eures Amtes unwürdig seid! Unwürdig!« Ihr blutbesudeltes Schwert blitzte auf im diffusen Zwielicht des Schattenreichs.
»Haltet ein, Ker!«, rief Thanatos. »Der Kampf ist vorbei!«
»Innehalten?«, fragte Ker. »Stirb auf deinen Knien, Sterbliche!« Ker schwang ihr Schwert, um Lysandra einen Stoß ins Herz zu geben, doch da diese rechtzeitig zur Seite sprang, streifte sie nur ihren Arm. Die Wunde brannte fürchterlich.
Ker lachte triumphierend. »Verabschiede dich schon mal von deinem jämmerlichen Leben, Sterbliche!«
Trotz der
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