Der Kuss des Greifen
ein Geliebter der Götter!«
»Es ist ein Fluch und die Götter hassen mich«, sagte Celtillos. Seine Miene war ausdruckslos. Nichts daran verriet Lysandra, wie er sich fühlte.
Arishats Blick glitt völlig ungeniert über ihn. »Ihr seid also einer der Wilden. Ich habe gewusst, dass die Keltoi stattlich sind, doch übertrefft Ihr meine kühnsten Vorstellungen.«
Subtilität war also ein Fremdwort für Arishat. Lysandra biss sich auf die Lippen. Sie waren hier weder auf dem Vieh- noch auf dem Sklavenmarkt, als dass derartige Ausdrücke angemessen wären. Celtillos ließ sich nicht anmerken, was er dachte, wofür sie ihn bewunderte.
»Gewiss seid Ihr ein Halbgott wie der thrakische Herakles«, sagte Arishat, die bewundernd zu ihm aufblickte.
Lysandra hustete, um ihren Lachanfall damit zu überdecken. Verstohlen blickte sie zu Cel, der völlig ungerührt wirkte. Lediglich sein Mundwinkel zuckte kurz. Woher nahm er nur diese Selbstbeherrschung?
»Ich versichere Euch, dass ich kein Halbgott bin«, sagte Cel.
Arishat legte ihre Hand auf seinem Unterarm. »Wollt Ihr mir nicht den Rest des Schiffs zeigen?« Sie sah Cel unter halb gesenkten Wimpern an. »Bisher hat sich noch keiner der Männer hier meiner erbarmt.«
Cel nickte. »Nun, dann werde ich Euch kurz herumführen.«
Arishat verzog ihren geschminkten Mund zu einem Lächeln, das ihre Augen nicht erreichte. Eine Mischung aus Triumph, Besitzgier und Koketterie lag in ihrem Blick, als sie Cel von Lysandra wegführte.
Cel schien verzaubert von der ungewöhnlich schönen Phönizierin zu sein. Gewiss war sie der heimliche Traum aller Männer, während sie, Lysandra, weder ein Mann noch eine richtige Frau war. Das Leben trug für sie bittere Früchte. Andererseits entging ihr nicht, dass einige Mitglieder der Mannschaft Arishats Verhalten als ungebührlich zu empfinden schienen.
Celtillos war stets wachsam. Zwar schien ihn die Mannschaft der Tanith zu akzeptieren, doch war er sich bewusst, dass sie dies allein deswegen tat, weil er das Schiff gerettet hatte. Er machte sich keine Illusionen darüber, dass sie ihn fürchteten, was Hass gebären konnte. Nicht nur war er ein Fremder, sondern auch eine Kreatur, die niemand verstand.
Arishats offenkundige Bewunderung irritierte ihn. Sie glaubte, wie viele andere auf dem Schiff, er könne seine Gestalt nach Belieben verändern. Dies war ein Irrtum, den er nicht korrigierte. Womöglich würde ihm der Irrglaube einige potenzielle Feinde vom Hals halten. Cel wusste, dass er gut aussah, was ihm schon immer das Interesse der Frauen eingebracht hatte, doch verstand er nicht, wie Arishat ihn trotz der Greifengestalt noch in ihrer Nähe haben wollte. Sogar die Frauen seines Volkes hatten ihm damals den Rücken zugewandt. Einzig Sirona war ihm geblieben. Fürchtete Arishat ihn denn nicht wie die anderen?
Lysandra fürchtete ihn ebenfalls nicht, obwohl sie sogar die Verwandlung gesehen hatte und er einer der Barbaren war, die in Delphoí eingefallen waren. Er glaubte, dass sie zu den wenigen gehörte, die sahen, wer und wie er wirklich war. Von äußeren Dingen ließ sie sich nicht blenden.
Die Tanith verließ Icosim nach wenigen Tagen. Nacht für Nacht steuerte Hiram einen der kleineren Häfen an, wo Cel sich in seiner Menschengestalt zeigen konnte. Kurz vor Sonnenaufgang legte das Schiff ab und setzte die Reise fort.
Celtillos zeigte sich der Mannschaft jetzt immer häufiger in seiner Greifengestalt. Sie wussten es ohnehin. Außerdem hatte ihm der Übergriff der Mamertiner Furcht um Sironas und Lysandras Wohl eingeflößt. Er brauchte beide Frauen. Die eine, weil er sie liebte, und die andere, um erstere zu retten vor einem sicheren, viel zu frühen Tod nach einem unmenschlichen, ihr unwürdigen Leben in der Gestalt eines Tieres. Schlimmer noch war die nicht weit hergeholte Befürchtung, dass Sirona diese Gestalt auch im Totenreich nicht ablegen würde und darin verdammt wäre für alle Ewigkeit.
Doch auch Lysandra hatte er zu schätzen gelernt. Sie war loyal und zuverlässig und ihr Mut dem eines Mannes oftmals überlegen. Sie kannte sich mit der Kampfkunst und den Waffen aus und war unerschrocken, diese einzusetzen, um das zu schützen, was ihr wichtig war. Für eine Hellenin war dies außergewöhnlich und selbst für eine Frau der Boier beachtlich.
Cel erwachte, blieb jedoch ohne sich zu bewegen liegen. Unter halb geschlossenen Lidern blickte er empor. Dunkelheit umhüllte ihn, doch wusste er, dass irgendwo
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