Der Kuss des Greifen
Aiolos gelang es, den Aufenthalt der Echidna auf dem Schiff geheim zu halten. Aufgrund ihrer Gefährlichkeit hielten sie sie stets gefesselt und verbargen ihren verschnürten Schlangenleib unter einem Umhang, der länger war als sie groß. Die Schlangenfrau schwieg beharrlich darüber, wer sie damit beauftragt hatte, Lysandra und Cel zu töten. In einer kleinen unbewohnten Bucht hinter Rusadir ankerten sie kurz und brachten die Echidna in den Umhang gewickelt an Land. Sie lockerten ihre Stricke, damit diese sich nach einiger Zeit würde befreien können.
Das Schiff befand sich bereits seit den frühen Morgenstunden wieder auf der Fahrt. Der Wind peitschte Celtillos das lange Haar ins Gesicht, woraufhin er es mit einer Lederschnur im Nacken zusammenband. Tief sog er die Salzwasserluft ein. Er mochte die frische Brise und den Duft des Meeres. Fast könnte er sich – im Gegensatz zu Aiolos, der noch immer von gelegentlicher Übelkeit heimgesucht wurde – daran gewöhnen, auch längere Zeit auf einem Schiff zu sein.
Mit dem Instinkt des Kriegers spürte Celtillos, wie sich ihm jemand näherte, noch bevor er die Schritte vernahm. Er wandte sich um. Es war Arishat. Wieder einmal. Seit sie ihn das erste Mal in seiner menschlichen Gestalt erblickt hatte, war sie derart aufdringlich, dass es ihn abstieß. Von seiner Mutter zu Höflichkeit gegenüber Frauen erzogen, war er zuvorkommend und freundlich, solange sie ihn nicht angriffen, wie es bei der Echidna der Fall gewesen war.
»In Alis Ubbo gehe ich von Bord«, sagte Arishat »Dort lebt meine Familie. Es wäre schade, wenn wir uns niemals wiedersehen würden.« Arishat blinzelte so kokett mit den Wimpern, dass Cel befürchtete, ihr müsste schwindelig werden.
Er blickte sie an. Sie war berückend schön. Gerade deshalb war er argwöhnisch, was ihre plumpen Annäherungsversuche betraf. Warum war sie so aufdringlich? Wobei es ihm auch aufgefallen war, dass sie eine Zeit lang Hiram schöne Augen gemacht hatte.
»Man sieht sich im Leben immer zweimal«, sagte er.
Arishat schlug ihre Wimpern nieder und seufzte herzzerreißend. »Ihr seid ein Mann, dem man öfter als zweimal begegnen möchte. Wenn Ihr mich bei Euch haben wollt, könnt Ihr mit mir in Alis Ubbo an Land gehen. Ich besitze ein Haus dort auf einem größeren Grundstück. Und ich bin frei, mir wieder einen Mann zu nehmen.« Sie berührte den Ausschnitt ihres Kleides, wo die Spalte ihrer Brüste zu sehen war. »Und ich kann Euch sagen, dass ich die Einsamkeit schlecht ertrage. Ihr werdet mich doch zumindest einige Tage lang besuchen?« Hoffnungsvoll sah sie ihn an.
»Ich bedaure, doch ich habe etwas zu erledigen auf den Zinninseln.«
Sie blinzelte ihn an. »Aber das kann doch warten.«
»Das kann es nicht.«
»Was werdet Ihr dort tun?«
Cel runzelte die Stirn. Er konnte ihr wohl kaum sagen, dass er dort das Tor ins Totenreich durchschreiten würde, um im Jenseits nach einer Möglichkeit zu suchen, den Zauber, der auf Sirona und ihm lag, zu lösen. »Eine Handelsniederlassung gründen«, sagte er stattdessen.
»Ihr seht nicht gerade aus wie ein Phönizier. Warum versucht Ihr diesen nachzueifern?«
Misstrauisch blickte er sie an. Obwohl sie anders aussah, erinnerte sie ihn an Creusa, jene hellenische Frau, die Sirona und ihn in diese Schwierigkeiten gebracht hatte. Daher war er vorsichtig, auch wenn es keinen begründeten Verdacht gab, dass sie genauso wie die Zauberin war. »Ich versichere Euch, dass ich niemandem nachzueifern gedenke. Außerdem hat auch mein Volk Städte gegründet.«
Arishat strich mit den Fingerspitzen über seinen Unterarm. »Manche Dinge sind wichtiger als finanzieller Gewinn.« Ihre Hand wanderte seinen Arm hinauf, wo die Chlamys von der Fibel zusammengehalten wurde. Er trug dazu nur seine Beinkleider, wie sie bei den Hellenen und Phöniziern unüblich waren.
»Was meint Ihr?«, hauchte Arishat nahe bei seinem Ohr. Sie war schön und verführerisch. Da er sich beobachtet fühlte, sah er zur Seite. Sein Blick begegnete dem Lysandras, die hastig wegsah, als würde sie sich ertappt fühlen. Eine feine Röte überzog ihr Gesicht. Obwohl sie weniger schön war als Arishat gefiel sie ihm besser, weil ihm diese gezierte, kokette Art der Phönizierin nicht behagte. Sie erinnerte ihn zu sehr an Creusa.
Er gedachte der Nacht, in der Lysandra in seinen Armen gelegen hatte. Auch er kannte jene Albträume, die ihm nicht geheuer erschienen. Irgendetwas Übernatürliches war hier am Werke, doch
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