Der Kuss des Greifen
unweit von ihm jemand auf ihn lauerte. Als er eine schattenhafte Bewegung wahrnahm, ergriff er seine Waffen und stürzte sich auf den Angreifer. Er warf ihn um und kam auf ihm oder besser gesagt ihr zu liegen. Es handelte sich eindeutig um eine Frau.
»Arishat?«, fragte er leise, als er nackte Brüste und den Schimmer dunklen Haares im Mondschein erblickte. Ihr Gesicht lag im Schatten, ebenso wie ihre Beine.
Cel blinzelte, da er sich zu irren glaubte. Sie hatte gar keine Beine! Wo diese sich bei einer anderen Frau befanden, besaß sie einen riesigen gefleckten Schlangenleib!
Die Schlangenfrau wand sich unter ihm und bäumte sich auf. Mit aufgerissenem Mund, aus dem die Giftzähne einer Schlange spitz hervorragten, wollte sie nach ihm schnappen, doch er drückte ihren Oberleib nieder. Ihr Gesicht hätte von berückender Schönheit sein können, wäre der Blick nicht so starr und schlangenartig.
Offenbar wütend, dass sie ihn nicht beißen konnte, schlug sie mit ihrem Schwanz um sich. Ihre Kraft war immens. Sie schleuderte Cel von sich, um sich sogleich auf ihn zu stürzen. Dabei stieß sie einen leisen, gefährlich klingenden Zischlaut aus. Diese Kreatur war dabei, ihre Zähne in seinen Leib zu schlagen und würde gewiss nicht eher ruhen, bis er tot war. Doch kurz bevor sie ihn erreichte, verdrehte sie plötzlich ächzend die Augen und sackte in sich zusammen.
Als sie mit dem Gesicht voran zu Boden fiel, erblickte Cel den Speer, der aus ihrem Rücken ragte. Lysandra stand hinter ihr und starrte entsetzt auf die Schlangenfrau. Sie hatte den Speer geworfen.
»Was war das für eine Kreatur?« Lysandras Stimme bebte.
Mit irrsinniger Geschwindigkeit kroch die Schlangenfrau, eine Spur aus Blut hinter sich herziehend, über den Boden und biss in Lysandras Bein. Diese schrie auf. Ein hämisches Lachen erklang aus der Kreatur Rachen. Dann ließ sie von Lysandra ab und wollte sie sich auf Cel werfen, doch der schlug wie ein Irrer mit dem Schwert auf sie ein, bis sie sich schließlich, aus zahlreichen Wunden blutend, zurückzog und über Bord stürzen wollte. Doch da erschien Aiolos und schlug sie mit einem Paddel. Bewusstlos sank die Kreatur zu Boden. Aiolos holte Stricke und fesselte die Schlangenfrau damit.
Cel rannte zu Lysandra, die ihr Gewand hochhielt und auf ihr blutiges Bein starrte. Cel kniete sich vor sie hin und sog kräftig an der Wunde. Das Gift spuckte er aus. Dies tat er mehrfach, bis der bittere Geschmack verschwunden war. Die Wunde blutete noch eine Weile. Das war gut so, denn das Blut würde mögliche Reste des Giftes herausspülen. Dennoch hoffte Cel, dass nicht zu viel davon bereits in ihren Leib eingedrungen war. Er hatte Angst um Lysandra und würde erst in einigen Tagen wieder aufatmen, wenn sicher war, dass sie den Anschlag folgenlos überstanden hatte.
Aiolos kam nach einer Weile zurück und wusch die Bisswunde mit heißem Wasser aus, das er in der Kombüse erhitzt hatte, um das Risiko eines Fiebers zu verringern. Er legte ihr einen sauberen Verband an.
»Was war dies für eine Kreatur?«, fragte Cel Aiolos.
Dieser hob die Schultern. »Das werden wir schon herausfinden. Doch warum wollte sie dich töten? Hast du sie schon mal gesehen?«
»Nein, heute das erste Mal.«
»Ich glaube, sie hatte es auf uns beide, Lysandros und mich, abgesehen«, sagte Cel.
Lysandra sah ihn erstaunt an. »Warum?«
»Vielleicht will sie unser Vorhaben verhindern.«
»Wir werden sie einfach befragen«, sagte Aiolos.«
»Sie macht keinen sehr kooperativen Eindruck. Und wenn sie uns nicht antwortet?«, fragte Lysandra.
Aiolos hob die Achseln. »Irgendetwas werden wir schon herausfinden. Ich werde euch jetzt eine stärkende Brühe holen.« Aiolos verschwand in der Kombüse, aus der Dampf aufstieg. Sie war nur wenig größer als die Kajüten und besaß eine kleine gemauerte Kochstelle. Offenbar verstand der Seher sich gut mit dem Schiffskoch.
Wenig später kam Aiolos mit dem Versprochenen zurück. Lysandra hatte jedoch kaum Appetit. Es dauerte lange, bis sie mit dem Essen fertig war. Cel war versucht, sie zu füttern, so sehr zitterten ihre Hände, doch unterließ er dies um ihres Stolzes willen.
Lysandra sah Cel an. »Werde ich sterben?«
»Noch nicht. Deine Zeit ist noch nicht gekommen.«
»Du willst mich nur beruhigen, nicht wahr? Kannst du es überhaupt sehen?« Ihre Stimme bebte, sowie ihr Leib. Sie schlang ihre Arme um sich, als wäre ihr kalt oder als wollte sie sich trösten.
Er sah ihr ins Gesicht.
Weitere Kostenlose Bücher