Der Kuss des Greifen
mit aller Macht. Celtillos flog auf das Schiff zu, sank herab und schlug seine Krallen oberhalb der Galionsfigur ins Holz. Mit kräftigen Schwingenschlägen brachte er die Tanith von den scharfkantigen Klippen weg, doch gegen Wind und Wellen kam auch er nur begrenzt an. So zog er das Schiff leicht seitlich dagegen in Richtung der Bucht von Icosim.
Kapitel 12
Nur wenige Menschen befanden sich bei diesem Unwetter draußen am Hafen. Schlechte Sichtverhältnisse und Regen taten, so hoffte Lysandra, ihr übriges, sodass die Ankunft des Greifen relativ unentdeckt bleiben würde.
Kaum hatten sie das etwas ruhigere Gewässer der Bucht erreicht, drehte der Greif ab, um sich erneut in die Lüfte zu schwingen. Doch plötzlich brachen die Wolken auf und entließen einen heftigen Regenguss direkt auf ihn. Rasch sog Cels ohnehin bereits feuchtes Gefieder sich noch mehr mit Wasser voll. Nur mit Mühe erreichte er die Tanith , auf deren Planken er ermattet niedersank.
»Ein Gryphon!«, riefen einige der Besatzung der Tanith .
»Wie kommt er hierher?«, fragte Belzzasar.
Der Schiffskoch blickte gen Himmel. »Ein Omen! Wenn der Greif auf unserer Seite ist, haben die bösen Kräfte ihre Macht eingebüßt!«
»Er ist ein Ungeheuer! Sehr ihr nicht diese Klauen und den gewaltigen Schnabel? Alles andere ist Aberglaube«, rief ausgerechnet Belzzasar, der einen gewissen Einfluss auf die Männer der Tanith besaß.
Der Mann neben ihm zog sein Schwert. »Wir sollten das Biest töten und über Bord werfen.«
Hiram schüttelte den Kopf. »Hier wird nichts und niemand getötet, solange er uns nicht angreift! Er hat uns nicht nur vor dem Sturm, sondern auch vor den Mamertinern gerettet.«
»Warum ist er dann so spät gekommen, als der Kampf schon fast vorbei war?«, fragte der Mann.
Hiram starrte ihn an. »Seid froh, dass er überhaupt gekommen ist, sonst wäre Lysandros jetzt tot.«
Lysandra fluchte leise und näherte sich Cel, der erschöpft zusammengesunken war.
Sie wandte sich an Belzzasar. »Er hat unser aller Leben gerettet. Wir sollten ihn verbergen vor dem Volk von Icosim, sonst nehmen sie ihn uns weg.«
Hiram nickte. »Ganz recht. Alles, was anders ist, wird mit Argwohn betrachtet, auch wir, da er sich auf unserem Schiff befindet. Solange er niemanden angreift, hat keiner das Recht, ihm etwas zu tun.«
»Woher wollt Ihr wissen, dass er nicht gefährlich ist? Es muss immer erst jemand zu Schaden gekommen sein, bevor etwas dagegen getan wird«, sagte Belzzasar.
Hiram bedachte ihn mit einem stechenden Blick. »Ihr wisst, dass ich nicht so verantwortungslos bin. Oder wollt Ihr die Leute etwa zu einer Meuterei aufwiegeln?«
Belzzasar trat einige Schritte zurück. »Das ist das Letzte, was ich wollte.«
Die meisten der Umstehenden stimmten Hiram zu.
Lysandra war fest entschlossen, Celtillos so viel Schutz zukommen zu lassen, wie es in ihrer Macht stand. Sie fragte Hiram nach Reservesegeln. Er überließ ihr eines, das sie über Celtillos’ Greifengestalt ausbreitete. So war er vor neugierigen Blicken geschützt, doch leider trocknete auf diese Weise sein Gefieder langsamer, was ihn angreifbarer machte. Man konnte leider nicht alles haben. Lysandra hoffte, die nächste Nacht würde das Problem erledigen. Sie würde mit Hiram sprechen müssen. Dies sagte sie auch zu Cel, der kraftlos nickte.
»In der Nacht werden wir das Segel wieder entfernen, sofern der Mond nicht zu hell scheint«, sagte sie.
Hiram kam auf sie zu. »Wir müssen uns unterhalten, Lysandros.«
Sie nickte, übergab Celtillos in Aiolos’ Obhut und folgte Hiram in seine Kajüte.
Hiram ging in seiner Kajüte auf und ab, soweit es der geringe Platz zuließ. Zwar hatte er zuvor von Celtillos, dem Keltoi, gewusst, doch nicht, dass er und der Greif ein und derselbe waren. Er schüttelte immer wieder erstaunt den Kopf, während Lysandra ihm die gesamte Geschichte über den Zauber, der auf Cel und Sirona lag, erzählte.
»Das klingt absolut unglaubwürdig. Ich kann es kaum fassen.«
»Ich weiß. Mir geht es ebenso«, sagte Lysandra.
»Die weiße Katze ist wirklich ein Mädchen?«
Sie nickte.
Hiram stöhnte. »Sie trieb sich immer bei meinen Männern herum, gar kein guter Umgang für sie. Die bringen manchmal Huren mit aufs Schiff, obwohl ich ihnen das untersagt habe. Was sie in den Hafenstädten treiben, ist ihre Sache, aber an Bord sieht das anders aus. Es tut mir wirklich leid für Sirona.«
»Ich glaube, sie wird es
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