Der Kuss des Greifen
Geister hatte er auf Hirams Schiff glücklicherweise bisher nicht bemerkt. Die Ertrunkener konnten besonders verstörend und unangenehm sein. Zumal sie aussahen wie beim Eintritt des Todes, was nicht immer ein schöner Anblick war.
»Woran denkt Ihr?«, fragte Arishat.
»Das möchtet Ihr nicht wissen.«
»Sagt es mir und ich werde Euch sagen, ob es mir gefällt.« Sie schenkte ihm ein berückendes Lächeln.
Cel schüttelte den Kopf. Er mochte es nicht, wenn fremde Frauen ihn einfach so fragten, was er dachte. Was sollte das? Musste man das Schweigen unbedingt füllen, selbst wenn einem nichts als derart sinnlose Fragen einfielen? Bisher hatte er keineswegs den Eindruck gehabt, als würde es die Phönizierin interessieren, was andere dachten oder fühlten. An den Abenden saß er manchmal eine Stunde lang neben Lysandra und blickte aufs Meer hinaus, ohne dass sie versuchte, zwanghaft ein Gespräch herbeizuführen. Im Gegenteil war sie völlig entspannt dabei.
Wäre sie keine Hellenin, hätte er sie als Lebensgefährtin in Betracht gezogen. Oder besser gesagt: Wäre er kein Mann, auf dem ein Zauber lastete. Lysandra zog er mit in diese Schwierigkeiten hinein. Er würde sie auch im Totenreich benötigen, hatte Kore gesagt. Es blieb ihm in Ermangelung einer Alternative nichts anderes übrig, als zu tun, was die Pythia ihm geraten hatte.
»Ihr wollt also nicht reden«, sagte Arishat. »Ich wüsste etwas Besseres als reden.« Ihre Stimme war tief und rauchig, ihr Augenaufschlag sprach von Verführung.
»Geht besser in Eure Kajüte«, sagte Hiram, der zu ihnen trat. »Wir erreichen bald die Säulen des Herakles. Wind zieht auf und die Strömung wird stärker. Wenn es das Meer über die Reling treibt, könnte es nicht so angenehm für Euch werden.«
»Davon ist das Meer noch weit entfernt. Ich verstehe also nicht, worauf Ihr hinaus wollt«, sagte Arishat merklich pikiert, »aber da ich ja nur eine schwache Frau bin, werde ich dem wohl Folge leisten müssen.« Sie sah Hiram und Cel wütend an und rauschte davon.
»War sie wieder aufdringlich?«, fragte Hiram.
Cel nickte. »Danke. Man ist manchmal einfach zu höflich.«
»Keine Ursache«, antwortete Hiram und schritt über die Planken in Richtung der Kombüse.
Staunend stand Cel an Deck, als sie die Säulen des Herakles passierten, die beiden sich gegenüberliegenden Felsen bei der Meerenge. Sie hatten Glück, dass kein Nordwind wehte, der sie zusammen mit der Meeresströmung gen Süden getrieben hätte. So konnten sie Tanger links liegen lassen und nordwärts in Sichtnähe der Küste segeln.
»War das nicht aufregend, wie Hiram die Meerenge durchschifft hat?«, fragte Arishat Cel später. »Darauf sollten wir einen Wein trinken. Kommt doch mit mir.«
Cel warf einen Blick zu Hiram, doch der schien beschäftigt zu sein. Ein paar Seeleute lungerten in der Nähe herum, auch wenn die meisten ruderten. Sie waren nahe genug, um ihr Gespräch hören zu können. Leider besaß Cel so viel Feingefühl, um Arishat davor bewahren zu wollen.
»Kommt Ihr mit mir?« Arishats Stimme war ein raues Flüstern, das in seiner Tonlage das Versprechen sinnlicher Vergnügungen verhieß. Ihre Augen glommen dunkel.
Cel zuckte zusammen, als ihre Fingerspitzen über seine Brust strichen. Da ihm Arishats Aufdringlichkeit lästig wurde, hoffte er, ein ernstes Wort mit ihr reden zu können. Er wusste, dass sie so schnell nicht aufgeben würde, um ihn zu werben. Zurückweisung schien ihr nichts auszumachen oder sie ignorierte sie einfach. Dennoch wollte er das Gespräch mit ihr nicht vor aller Augen und Ohren führen. Er hoffte, es schnell hinter sich bringen zu können, da die Nacht sich bald dem Ende zuneigen würde.
»Wir haben etwas miteinander zu besprechen«, sagte er.
Ein Lächeln der Zufriedenheit lag auf Arishats Lippen, die sie laszive mit der Zungenspitze befeuchtete. »Gut, lasst uns gehen.«
Cel folgte Arishat in ihr Gemach, da er kaum einen anderen Ort finden würde, um mit ihr ungestört reden zu können. Der Platz hinter Hirams Kajüte war bedauerlicherweise bereits belegt. Arishats Raum war mit Tüchern verhangen und vom schweren, betörenden Duft eines Parfums erfüllt. Die einzige Beleuchtung stellte eine Öllampe dar, die auf dem winzigen Tisch brannte. Dies hielt er für leichtsinnig, da sie bei schwererem Wellengang herunterfallen und das Schiff in Brand geraten könnte.
Arishat legte sich seitlich auf ihr Lager. Sie griff nach einem Weinschlauch und goss davon in
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