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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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hier fuhren im Vergleich so wenige Autos, dass Sophie nach Pariser
Art die Ampel ignorierte und auf der gegenüberliegenden Straßenseite die
Grünanlage vor dem Collège de France betrat. Eine Scheu, die sie selbst
überraschte, hemmte ihre Schritte. Wenn sie nicht alles täuschte, war Rafe
jetzt ein richtiger Engel – ein strahlender Bote des
Lichts, der den Ungeheuern der Finsternis mit dem Flammenschwert entgegentrat.
Musste dadurch nicht alles anders werden? Vor dem Dämon Rafe hatte sie sich
gefürchtet, aber sie hatte auch Mitleid mit ihm gehabt, weil er in seiner Rolle
gefangen gewesen war. Sein Verlangen nach ihr hatte ihr sogar eine gewisse
Macht über ihn verliehen. Was verband sie noch mit dem Engel, der sich nun
wieder Raphael nennen durfte? Nach dem Vorbild des heiligen Erzengels, dessen
Name Gott heilt bedeutete. Wer hat
ihn geheilt? Gott? Mein Opfer, wie Kafziel behauptet hat? Er sich selbst durch
seine gute Tat?
    Die ausladenden Kronen der Bäume verdeckten große Teile des Gebäudes
der alten Universität. In ihren Schatten war es bereits so dunkel, dass sich
leises Unbehagen in Sophies Unsicherheit mischte. Der Ehrfurcht zum Trotz
spürte sie vor allem Erleichterung, als sie Rafe erkannte. Einen Augenblick
lang glaubte sie, er leuchte von innen heraus wie in jenem kurzen Moment am
Krankenhausbett, als er ihr seine neue wahre Gestalt offenbart hatte, doch es
war nur das weiße T -Shirt, das im Licht einer
Straßenlaterne schimmerte.
    »Hi.« Das alberne kleine Wort kam ihr auch noch zu leise über die
Lippen. Wie sollte sie mit ihm umgehen? Es kam ihr selbst dumm vor, wie
selbstverständlich sie sich an den gefährlichen gefallenen Engel geschmiegt
hatte, und hier stand sie nun und wagte nicht, sich seinem neuen,
vertrauenswürdigen Selbst zu nähern.
    »Du bist verwirrt«, stellte er fest. »Das bin ich auch – und du
kannst mir glauben, dass es für einen Engel noch viel schlimmer ist. Ich wusste
nicht einmal, dass ich verwirrt sein kann . Für
gewöhnlich weiß ich einfach, wie die Dinge sind.«
    » Du bist verwirrt? Aber weshalb denn?«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht sicher, ob je zuvor ein
gefallener Engel aus der Verdammnis zurückgekehrt ist. Und allein das ist schon
seltsam genug für mich, denn für einen Engel gibt es eigentlich nur Gewissheit.
Die Dinge sind, wie sie sind. Das ist für Menschen vielleicht schwer zu verstehen,
weil ihr ständig im Zweifel seid.« Seine Miene bekam einen grüblerischen Zug,
der sich jedoch rasch wieder verlor. »Jedenfalls erinnere ich mich daran, auf
der anderen Seite gewesen zu sein. An das, was ich getan und gedacht habe. Ich
kann es nachvollziehen, weil es in sich logisch war, aber … Es war falsch und
schlecht. Ich habe Leid über Menschen gebracht, auch über dich, und ich kann es
nicht ungeschehen machen. Es belastet mich – weil ich die Entscheidung, die zu
meinem Sturz führte, noch immer für richtig halte.«
    Sie sah Schmerz in seinen Augen und legte instinktiv die Arme um
ihn, barg das Gesicht an seinem Hals und atmete den vertrauten Duft seiner
Haut, nur um die Luft anzuhalten, als sie von einer Woge unerwarteter Gefühle
überwältigt wurde. Sie hatte geglaubt zu wissen, was es bedeutete, ihn zu
berühren. Doch die Erinnerung an den kurzen Moment in der Klinik war bereits
nur noch ein ferner Nachhall gewesen. Die Liebe, die er verströmte, wie ein
gewöhnlicher Mann Wärme ausstrahlte, drang in jede Faser, jeden Winkel ihres
Herzens und verwandelte es in eine schwerelose, beinahe glühende Stelle, die
sich in ihr ausbreitete und alle Ängste und Sorgen auflöste.
    »Du …« Sie stolperte über die altertümliche Formulierung. »Du hast
Leid über mich gebracht, aber dein wahres Selbst wollte es nicht. Wie könnte
ich es dir dann übel nehmen? Es ist längst verziehen.«
    Er drückte sie an sich und hauchte einen Kuss auf ihr Haar. »Ich
wünschte, ich dürfte es dich einfach vergessen lassen. Aber du musst dich
erinnern, um gegen Kafziel gefeit zu sein.«
    In Rafes Armen geborgen, schien ihr der Dämon so weit weg, dass sich
keine Furcht in ihr regte. »Er wird mir nichts anhaben können, solange du über
mich wachst.«
    »Es tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss, aber ich kann dich
nicht Tag und Nacht behüten. Auch wenn ich es gern tun würde.« Er wollte sie
noch fester an sich ziehen, doch sie versteifte sich und rückte ein wenig von
ihm ab, ohne ihn loszulassen.
    »Was …«
    »Ich habe noch andere Aufgaben,

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