Der Kuss des Jägers
Sophie. Es gibt in dieser Stadt
viele Menschen, die mich dringender brauchen als du.«
»Aber ich bin in Gefahr!« Sah er das nicht? Wie konnte er so grausam
sein? »Kafziel stand nachts plötzlich im Krankenhaus. Er war in meinem Zimmer!
Du hast selbst gesagt, dass er wiederkommen wird.« Mit einem Mal zitterte sie,
als sei die Temperatur jäh gefallen.
»Schhhh.« Er rieb sacht ihre Arme, und sie spürte, wie ein Hauch des
Gefühls, aller Nöte enthoben zu sein, zurückkehrte. »Trauer und Trübsinn ziehen
ihn an, öffnen dich seinen Einflüsterungen. Sei vorsichtig! Er darf auf keinen
Fall von dir Besitz ergreifen, sonst bin selbst ich machtlos. Hörst du? Nur
wenn du dich freiwillig opferst, bist du für ihn von Wert, und er wird alles
versuchen, um dich zu brechen. Aber der freie Wille ist heilig. Ich darf ihn
nicht daran hindern, dich in Versuchung zu bringen.«
Hoffnung keimte in ihr auf. »Heißt das, er kann mir nichts antun,
als mich unter Druck zu setzen?«
Rafe schüttelte bedauernd den Kopf. »Nein, so ist es nicht. Wenn er
die Geduld verliert, wird er dir aus Rache nach dem Leben trachten. Seine Macht
ist groß, und er hat Diener in beiden Welten, die er gegen dich aussenden
kann.«
»Er hat gedroht, jenen zu schaden, die mir nahestehen!«
»Um deinen Willen zu brechen, dich zur Verzweiflung zu bringen. Du
darfst ihm nicht nachgeben. Sei stark! Nur dann kann ich dir helfen.«
Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott. Bitterkeit und Zorn verdrängten die Liebe aus ihrem Herzen. Abrupt wandte sie
sich ab und ging davon.
O Mann, Sophie! Wenn ich mir das
vorstelle! Dieser Kerl mit dem Messer. Das Blut. Mir wird ganz anders«, brachte
Lara heraus. »Kannst du noch ohne Angst abends auf die Straße gehen?«
Es sind nicht die Leute auf der Straße, die ich
fürchten muss, dachte Sophie und korrigierte sich sofort. Sie wusste
nicht, was sie tun würde, wenn Kafziel auf die Idee kam, sie wieder auf Schritt
und Tritt zu verfolgen. »Fang du bitte nicht auch noch an! Es ist schon schlimm
genug, wenn meine Mutter und Madame Guimard mir damit in den Ohren liegen.«
»Tut mir leid, aber ich kann doch nicht einfach so tun, als wär
nichts. Du bist fast gestorben!«
Im Stillen seufzte sie. Lara hatte recht. »Ja, ist schon gut. Ich
wär umgekehrt ja genauso geschockt.«
»Das ist so unglaublich.«
Sophie konnte förmlich sehen, wie ihre Freundin den Kopf schüttelte.
»Ich versteh auch einfach nicht, warum es um dich herum plötzlich
von Leuten wimmelt, die sich mit schwarzer Magie und Dämonen und diesem ganzen
Zeug beschäftigen. Das ist irgendwie gruselig. Du hattest doch sonst nie etwas damit
zu tun.«
»Hm.« Sie konnte Lara weder sagen, dass sie den Dämon durch ihre
Trauer um Rafe unbewusst angelockt hatte, noch dass sie Jean begegnet war, als
sie einen vermeintlich wiederauferstandenen Toten gesucht hatte.
»Findest du das nicht auch seltsam?«
»Na ja, schon. Es hat sich halt so ergeben. Aber ich habe jetzt ganz
andere Probleme, die nichts mit irgendwelchem übersinnlichen Kram zu tun haben.
Die Polizei glaubt, dass Jean und Raphaël den Anführer dieses Zirkels
umgebracht haben, um mich zu finden. Sie haben Jean verhaftet und suchen jetzt
nach Raphaël.«
»Ach du Scheiße! Soph! Du meinst, sie haben diesen Mann
totgeprügelt, damit er ihnen sagt, wo du steckst?«
»Ich glaube nicht, dass das ihre Absicht war. Tot hätte er ihnen
doch gar nichts mehr sagen können. Das muss ein Unfall gewesen sein.«
Oder ein skrupelloser gefallener Engel. Warum hatte sie gestern Abend nicht daran gedacht, Rafe nach dem Vorfall zu
fragen?
»Die Polizei wird das herzlich wenig interessieren. Ich fühle mich
schuldig, Lara. Jean sitzt doch meinetwegen im Gefängnis. Weil er mir helfen wollte. Und ich kann irgendwie nichts für ihn
tun.« Es war ihr nicht bewusst gewesen, bevor sie es ausgesprochen hatte, doch
nun liefen ihr Tränen die Wangen hinab.
»Das ist echt übel. Ach, Soph, ich würd dich jetzt gern in den Arm
nehmen.«
Dass es nicht möglich war, ließ Sophie erst recht schluchzen. Sie
wusste nichts mehr zu sagen. Alles war so kompliziert, so verfahren, so
aussichtslos.
»Das ist alles viel zu viel für dich allein«, befand Lara mitleidig.
»Nein, nein, denk nicht gleich wieder, dass ich dich bequatschen will,
zurückzukommen. Du kannst die beiden jetzt nicht im Stich lassen – das seh ich
ein. Ich … red mal mit Stefan. Und mit meiner Chefin. Vielleicht kann ich ein
paar Tage nach Paris kommen
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