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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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dahintergesteckt hätte, wäre
sicher sehr viel mehr Blut geflossen.
    Versonnen stieg sie in eine beige Hose, die zusammen mit einer
weißen Bluse bei dieser Hitze ein passables Bewerbungsoutfit abgeben würde. Zu
dumm, dass sie in Gedanken so wenig bei diesem Vorstellungsgespräch war. Sie
musste aufhören, die ganze Zeit daran zu denken, wie sehr sich Rafe nun wieder
wie früher benahm. Mit einem Unterschied. Er hatte sie zwar geküsst, doch es
war spürbar verhalten gewesen. Wenn sie bedachte, wie leidenschaftlich er noch
vor wenigen Tagen versucht hatte, sie zu verführen … Andererseits musste sie
zugeben, dass sie ihn nun zwar vorbehaltloser liebte, aber auch nicht mehr so
geradezu besinnungslos verrückt nach ihm war wie zuvor.
    Dass er mich nicht mehr bedrängt, ist doch kein
Wunder . Wie hatte Jean es ausgedrückt? Sie konnte sich nicht mehr genau
erinnern, aber im Kern war die Botschaft unmissverständlich gewesen. Als Dämon
– nur ein angehender, hatte Rafe behauptet – hatte er sie unbedingt gewollt, um
irgendwelche Höllenwesen mit ihr zu zeugen. Und ganz offensichtlich hatte er dazu
irgendeinen Zauberbann über sie geworfen, der sie seiner erotischen
Ausstrahlung nur mit größter Mühe widerstehen ließ. Von diesem heißen Verlangen
spürte sie nichts mehr, nur noch tiefe, hingebungsvolle Liebe, die mit dem
Wunsch einherging, ihm nahe zu sein – auch körperlich.
    Sie schrak auf, als es an der Wohnungstür klingelte. Bestimmt schon
ihre Eltern. Was für ein Glück, dass sie einen Termin hatte! Rasch raffte sie
ihre Unterlagen zusammen, doch es war eine französische Männerstimme, die durch
den Flur bis zu ihr drang. Ein Nachbar?
    »Sophie?«, rief Madame Guimard.
    »Komme schon.« Sie schnappte die Tasche mit der Kopie ihrer
Bewerbungsmappe und eilte auf Socken aus ihrem Zimmer. In der offenen Tür
standen zwei junge Polizisten in Uniform. Einer der beiden nickte Sophie zu.
Sie erkannte Brigadier Gonod aus dem Krankenhaus wieder und rang sich ein
Lächeln ab.
    »Bonjour, Mademoiselle«, grüßte er mit wichtiger Miene. »Ich muss
Sie ersuchen, uns zu begleiten. Der Chef persönlich will mit Ihnen sprechen.«
    »Der Chef persönlich?«, wiederholte sie erstaunt. »Wer ist denn
das?«
    »Commissaire Thibault Gournay.«

    »Das ist ziemlich übel entzündet.«
    Jean hätte den Kommentar der Gefängnisärztin nicht gebraucht, um
angesichts der starken Rötung dieselbe Diagnose zu stellen.
    »Da sitzt Eiter drin.« Die drahtige Frau, die er auf Mitte vierzig
schätzte, tippte mit einem unlackierten Fingernagel auf eine gelbliche Stelle
unter dem Wundschorf.
    »Sie werfen gar nicht mit dem üblichen Ärztelatein um sich. Würde
das auf Ihre Kundschaft nicht viel mehr Eindruck machen?«
    »Fühlen Sie sich besser, wenn Sie nicht verstehen, was ich sage?«
Der Blick der dunklen Augen hinter der randlosen Brille war kühl.
    Er verkniff sich den Hinweis, dass sein Latein wahrscheinlich besser
war als ihres, und winkte ab. Wenn sie in ihm nur einen weiteren Kriminellen
ohne Vergangenheit und Zukunft sehen wollte, konnte sie ihm gestohlen bleiben.
    Sie wandte sich ab, um Tabletten aus einer Schublade zu nehmen und
in einen Beutel abzuzählen. »Täglich eine«, wies sie ihn an, als sie ihm die
Pillen reichte.
    »Antibiotika?«
    »Was sonst? Ecstasy?« Kopfschüttelnd trug sie etwas in seine Akte
ein. »Sind Sie gegen Tetanus geimpft?«
    »Ja, danke, auch gegen Staupe und Tollwut.«
    »Sehr witzig«, brummte sie, aber er glaubte, einen Funken
Belustigung in ihren Augen zu entdecken. »Sie sollten das ernst nehmen.
Wundstarrkrampf bringt Sie um. Ich lass Ihnen doch eine Injektion geben.«
    »Nicht nötig. Ich war vor zwei Jahren zum
Auffrischen.« Das fehlte noch, dass sie ihm Spritzen verpassten. Was in dieser
Wunde schwärte, stammte direkt aus der Hölle. Der Pesthauch der Unterwelt, der
ihre Erscheinungen begleitete.
    Sie musterte ihn noch einmal. »Also schön. Ich sehe mir das in zwei
Tagen noch einmal an. Melden Sie den Aufsehern, falls es schlimmer wird!«
    Eine Krankenschwester übernahm es, den Eiter zu entfernen und die
genähten Schnitte zu desinfizieren, bevor sie ihm einen neuen Verband anlegte.
Jean ließ die Prozedur schweigend über sich ergehen. Der medizinische Geruch
trug ihn zurück in die Klinik, beschwor das Bild herauf, wie sich Lilyth
dagegen gewehrt hatte, von ihm getrennt zu werden. Er konnte ihre Arme, ihre
Hände spüren, die sich verzweifelt an ihn geklammert hatten, und er hörte

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