Der Kuss des Jägers
nicht.«
»Geben Sie her!«
Jean ließ Gaillard seine Hand ergreifen, in die Mitte des Tischs
ziehen und einen Exorzismus darüber murmeln.
»In nomine Patris, et Filii, et Spiritus Sancti. Amen«,
endete er, während seine Finger drei Mal das Kreuzzeichen in die Luft woben.
Was wird nun wirken? Der Segen oder das Antibiotikum? ,
fragte Jean im Stillen die Ärztin, als er seine Hand wieder zurückzog.
»Das sarkastische Lächeln wird Ihnen hier drin vielleicht noch
vergehen«, meinte Gaillard säuerlich.
»Es hatte nichts mit Ihnen zu tun. Wie geht es Lilyth?«
»Ich ziehe es vor, sie bei ihrem Taufnamen Céline zu nennen. Wenn
wir sie erretten wollen, müssen ihre Verflechtungen mit den Mächten der
Finsternis gekappt werden wie mit einer Axt. Das wissen Sie doch.«
Jean machte nur eine vage Geste, um ihn nicht vom Weiterreden abzuhalten.
»Laut den Ärzten befindet sie sich in einem stabilen Zustand. Die
Sepsis ist überwunden, und die neue Verletzung ist harmlos, aber ihr
psychischer Zustand bereitet ihnen natürlich Sorge.«
»Haben Sie selbst mit ihnen gesprochen? Und mit ihr?«
Der Abbé schüttelte den Kopf. »Diese Informationen habe ich von Dr.
Faucheux. Sie waren doch dafür, ihn ins Vertrauen zu ziehen.«
»Ja, natürlich.« Der Psychiater hatte Gaillard schon mehrfach
Patienten zum Exorzismus geschickt, für die er keine überzeugende weltliche
Diagnose fand, und er unterstützte den Priester auch, wenn sich psychisch
auffällige Menschen hilfesuchend an die Kirche wandten. »Ein Teenager, der sich
selbst mit Rasierklingen malträtiert, hat ziemlich offensichtlich Probleme.«
»Allerdings. Faucheux hat schon mit ihr gesprochen. Er hat in der
Klinik erzählt, dass ich ihn als Experten gebeten habe, mit den Eltern wegen
einer Therapie Kontakt aufzunehmen, wofür die Ärzte sehr aufgeschlossen waren.
Natürlich haben sie ihm nicht einfach die Telefonnummer gegeben, sondern erst
einmal bei der Familie nachgefragt, ob das gewünscht sei, aber ich nehme an,
dass sie einen gewissen Druck ausgeübt haben.«
»Dann ist sie jetzt offiziell seine Patientin?«
»Noch nicht ganz. Die Eltern haben sich zunächst nur einverstanden
erklärt, dass er sich selbst ein Bild von dem Fall machen darf. Über das
weitere Vorgehen wurde noch nicht entschieden.«
»Und was sagt er?«
Gaillard setzte eine steinerne Miene auf. »Alles deutet auf einen
Missbrauchshintergrund hin. Möglicherweise der eigene Vater.«
Für einen Augenblick fühlte Jean nichts. Als die Bedeutung der Worte
in sein Bewusstsein drang, regten sich seine Gedanken unbeholfen und träge wie
ein Vogel mit ölschlammverschmiertem Gefieder. Sie stolperten von Entsetzen zu
Wut, flatterten heftiger, bis sie sich in seiner Faust Bahn brachen, die auf
den Tisch krachte, dass ihn die Knochen schmerzten. Zornig starrte er den Abbé
an, ohne ihn zu meinen. Wie kann ein Mensch seinem Kind so
etwas antun? Er wollte diesen Mann schütteln und schlagen, bis er um
Gnade winselte wie der elende Caradec.
»Ich weiß, das ist schwierig zu begreifen«, sagte Gaillard. »Man
fühlt sich so ohnmächtig, wie sich das Kind gefühlt haben muss, weil man es
nicht mehr rückgängig machen kann. Es ist geschehen und wird das Mädchen für
immer belasten. Wir können nur versuchen, es ihr leichter zu machen.«
»Als Erstes muss sie ja wohl von diesem Monster weg!«
»Vorsicht mit Vorwürfen! Noch wissen wir nicht mit Sicherheit, wer
es war. Aber da sie auch eine Gefahr für sich selbst ist, spricht alles für
eine stationäre Behandlung in Faucheuxs Klinik. Seien Sie sicher, dass er alles
tun wird, um das Einverständnis der Eltern dafür zu bekommen.«
Und wenn nicht? Soll sie dann etwa in seiner Nähe bleiben? »Er muss es bekommen! Schon damit Sie weiter
exorzieren können. Der Dämon ist es, der sie dazu gebracht hat, sich fast
umzubringen. Das hängt alles mit einer größeren Sache zusammen, derentwegen ich
hier gelandet bin und nichts mehr tun kann!«
W ohin fahren wir?«, wollte Sophie
wissen, als sie in den Wagen der Polizisten stieg.
»Na, zum Hauptquartier«, antwortete Brigadier Gonod achselzuckend.
»Aha.« Sie bemühte sich, nicht völlig ahnungslos auszusehen, während
sie sich anschnallte und er die Tür zuschlug. Woher sollte sie denn wissen … Oh, natürlich! Jedem, der französische Krimis las, war die
Pariser Kriminalpolizei samt ihrer Zentrale im Justizpalast ein Begriff. Wer
sonst sollte in einem Mordfall ermitteln?
Mit dem Auto von der Rue
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