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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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die
professionell beruhigenden und doch unnachgiebig strengen Stimmen der Ärztin
und des Pflegers, die schließlich Sieger in diesem ungleichen Kampf geblieben
waren. Der letzte Blick des schluchzenden Mädchens in seinem Nachthemd und
Bademantel ging ihm Nacht für Nacht nach. Hoffentlich ging es ihr gut.
Körperlich hatten sie in diesem Krankenhaus sicher alles im Griff, doch wenn
ihn nicht alles täuschte, war sie noch immer besessen.
    »Méric? Mitkommen! Sie haben Besuch«, verkündete der Aufseher, der
ihn zur Ärztin gebracht hatte und nun wieder abholte.
    Überrascht folgte Jean dem bulligen Mann, in dessen Stiernacken
dunkle Haare aus dem Hemdkragen quollen. Geneviève hatte ihn gewarnt, dass man
ihr nicht allzu oft Zugang zu ihm gewähren würde – von weiteren Besuchern ganz
zu schweigen. Solange gegen ihn ermittelt wurde, wollten die Behörden
verhindern, dass er Zeugen beeinflussen oder gar Kontakt mit Komplizen
aufnehmen konnte. Hatte sie doch einen weiteren Termin erwirkt, weil es neue
Erkenntnisse zu seinem Fall gab? Welcher Art sollten die
schon sein?
    Der Weg durch die Gänge und Sicherheitsschleusen des einst hell
gestrichenen, aber mittlerweile heruntergekommenen Betongebäudes führte ihm vor
Augen, wie abgeschottet er von der Außenwelt war. Durch die rostigen Gitter vor
dem Fenster seiner Zelle hatte es gewirkt, als müsse man nur vor die Tür gehen,
um wieder in Freiheit zu sein. Wie weitläufig und verwinkelt der Komplex war,
dämmerte ihm erst jetzt.
    »Gaillard!«, entfuhr es ihm, als ein Wachmann die Tür eines
Besuchszimmers vor ihm öffnete.
    An der dunklen Kleidung und dem steifen Priesterkragen war der
Geistliche sofort als Mann der Kirche zu erkennen. Er lächelte dünn. »Mit mir
haben Sie wohl nicht gerechnet.«
    Jean schüttelte den Kopf. »Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass
Sie überhaupt wissen …«
    »Dass Sie im Knast gelandet sind? Nicht, dass ich das nicht schon
lange vorausgesehen hätte, aber ich wäre wohl ahnungslos geblieben, wenn mich
Ihre Anwältin nicht aufgesucht hätte.«
    Geneviève traf sich mit Gaillard? »Was wollte sie denn von Ihnen?«
    »Kommen Sie, Méric, setzen wir uns.« Der Abbé deutete auf den Tisch
und die beiden Plastikstühle, die in den 60 ern als
futuristisch gegolten haben mochten.
    Jean sah sich nach dem Fenster um, durch das ein Aufseher sie
beobachtete. Ob dem Mann die Ähnlichkeit zwischen ihnen auffiel? Da sie beide
groß und auffallend schlank waren und hagere Gesichter, aber volle Lippen
besaßen, hatte man sie schon öfter für Vater und Sohn gehalten.
Familienmitglieder ließ man sicher nur ungern zu einem Untersuchungshäftling
vor. Sie waren so verdammt parteiisch. »Meine … Anwältin … «
Wusste Gaillard, dass sie ein Engel war? »… sagte, ich solle mir keine Hoffnung
auf irgendwelche Besucher machen«, wunderte er sich noch immer, als er auf
einem der Stühle Platz genommen hatte.
    »Es war auch gar nicht so einfach, zu Ihnen vorzudringen«, murrte
der Abbé von der anderen Seite des Tischs. »Nicht mal für mich als Ihrem
Beichtvater! Eine Schande ist das. Ich war am Montag schon einmal hier und
wurde abgewimmelt wie eine lästige Fliege. Möge der Herr diesen bürokratischen
Heiden gnädig sein!«
    Mein Beichtvater? Schmunzelnd nahm Jean
zur Kenntnis, dass Gaillard für ihn geflunkert hatte. Jedenfalls hatte er seit
zehn Jahren seine Sünden nicht mehr nach den Regeln der Kirche vor seinem
ehemaligen Lehrmeister ausgebreitet.
    »Pah! Man muss sich ja wundern, dass es überhaupt noch
Gefängnisgeistliche gibt. Wenn ich nicht zufällig gute Kontakte zu … Aber das
führt jetzt alles zu weit«, unterbrach sich Gaillard. »Und Sie interessiert es
ohnehin nicht, das sehe ich Ihrer gelangweilten Miene schon an. Kommen wir also
zur Sache. Sie geben uns nicht allzu viel Zeit.«
    »Worum geht’s?« Konnte der Abbé in irgendeiner Form dazu beitragen,
ihn aus dem Gefängnis zu bringen?
    »Um das Mädchen natürlich.« Gaillard sah ihn an, als habe er
gefragt, ob er katholisch sei. »Deshalb haben Sie die Anwältin doch zu mir
geschickt – damit ich Sie über das verwirrte Wesen auf dem Laufenden halte.«
    Das hatte Geneviève ihm gesagt? Sicher in anderer Form, denn Engel
logen nicht. Vorsichtshalber nickte er.
    »Mir ist es recht, denn Sie wissen mehr über die Hintergründe dieses
Falls als ich. Ich fische nicht gern im Trüben, wenn ich nicht muss. Verheilt
das gut?« Der Abbé wies auf den Verband.
    »Eher

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