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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Jean de Beauvais an den Quai des Orfèvres zu
fahren, war im Grunde lächerlich. Am längsten hielten sie die Touristen auf,
die in Scharen zum Justizpalast und der gegenüberliegenden Notre-Dame strömten.
Trotzdem genügten die wenigen Minuten, um Sophie noch nervöser zu machen. Als
Opfer zu dem Verbrechen auszusagen, das man an ihr verübt hatte, war eine
Sache, aber von einem hohen Tier der B. C. , der
Brigade Criminelle, vernommen zu werden, deutete auf eine ganz andere Lage hin.
Denn auch wenn es verwirrend war, erinnerte sie sich, dass der Titel Commissaire in Frankreich einen deutlich höheren Rang
bezeichnete als in Deutschland.
    »Warum will mich denn ›der Chef persönlich‹ sprechen?«, wagte sie zu
fragen.
    Gonod zögerte, sodass sie schon glaubte, er werde dazu schweigen.
»Sagen wir mal, dass Gournay über die Jahre ein spezielles Interesse an Méric
entwickelt hat.«
    Der tadelnde Blick, den sein Kollege ihm zuwarf, entging ihr nicht.
Was hatte Jean verbrochen, dass dieser Commissaire ihn nicht mochte? Oder
verstand sie es falsch und er hielt sogar seine Hand über ihn? Die Ankunft im
bewachten Innenhof des altehrwürdigen Gebäudes hinderte sie daran, weitere
Fragen zu stellen, die Gonod wahrscheinlich ohnehin nicht mehr beantwortet
hätte.
    Sobald sie die langen, hallenden Flure des Justizpalasts betreten
hatten, verabschiedete sich der zweite Brigadier, und Gonod rief per Handy
seinen Vorgesetzten an, um ihm mitzuteilen, dass die Zeugin Sophie Bachmann
eingetroffen sei. Allein mit ihm hätte sie sich vielleicht besser gefühlt, wenn
ihre Gedanken nicht zur Vernehmung vorausgeeilt wären. Sie malte sich aus, wie
sie sich in Widersprüche verstrickte, und spürte ihren Mund trocken werden.
    »Machen Sie sich darauf gefasst, dass er übler Laune ist, weil es
doch kein Mord zu sein scheint.«
    Überrascht sah sie Gonod an, der jedoch weiterging, ohne den Blick
zu erwidern.
    »Allerdings ist der Obduktionsbericht noch vorläufig.«
    Ratlos, was sie mit dieser Information anfangen sollte, trat sie
durch die Tür, die er ihr öffnete. In dem kargen Raum dahinter lehnte ein
ergrauter, in Hemd und Anzughose gekleideter Mann halb sitzend, halb stehend an
einem Tisch. In den großen, aber schlanken Händen hielt er einige Papiere, von
denen er rasch aufsah. Der scharfe Blick schien Sophie zu durchbohren. Zusammen
mit der großen, schmalen Nase erinnerte er sie erst recht sofort an einen
Adler, der seine Beute fixierte.
    »Mademoiselle Bachmann.« Er stand auf, wahrte aber Distanz.
»Commissaire Thibault Gournay.« Die Hand mit den Blättern wies auf einen freien
Stuhl. »Nehmen Sie bitte Platz.«
    Schweigend folgte Sophie seiner Aufforderung. Dass er sie nicht
einmal höflich begrüßte, beunruhigte sie. Gonod hatte sie als Zeugin
bezeichnet, was sie fraglich genug fand, aber allmählich fühlte sie sich
behandelt wie eine Verdächtige. Sollte sie sich das gefallen lassen?
    »Mademoiselle Bachmann, in welchem Verhältnis stehen Sie zu Jean
Méric?«, erkundigte sich Gournay, bevor ihr eine wohlformulierte Beschwerde
einfiel.
    Die Antwort stand sicher bereits in dem Bericht, den Lacour nach
seinem Besuch im Krankenhaus geschrieben hatte, doch sie ahnte, dass es keine
kluge Idee war, sich zickig zu geben. »Wir sind seit etwa zwei Wochen
befreundet.«
    »Eng befreundet?«
    Waren sie das? »Wir haben uns erst wenige Male getroffen. Das würde
ich nicht als eng bezeichnen«, wich sie aus, obwohl sie sich ihm für diese
Umstände erstaunlich nah fühlte.
    »Haben Sie ein Verhältnis?«
    Unwillkürlich runzelte sie die Stirn. Das geht
dich rein gar nichts an. »Ich sagte Ihrem Kollegen bereits, dass ich mit
einem anderen liiert bin.«
    »Das muss Sie nicht abhalten.«
    Sie spürte sich erröten und einen Stich ihres Gewissens. »Werden Sie
nicht unverschämt, Monsieur! Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen, das
Ihnen das Recht gibt, mich wie eine Verbrecherin zu verhören.«
    Der Commissaire fasste sie wieder schärfer ins Auge und zeigte mit
dem Finger auf sie. »Reizen Sie mich besser nicht, Mademoiselle! Sie geben an,
die Freundin eines Mordverdächtigen und die Geliebte eines weiteren zu sein,
und gestehen, in die Ereignisse dieses Abends verwickelt gewesen zu sein. Mehr
Hinweise brauche ich nicht, um Sie als Komplizin in Gewahrsam nehmen zu lassen,
wenn mir danach ist.«
    Hilfesuchend sah sie zu Gonod, der neben der Tür Position bezogen
hatte wie ein Zinnsoldat. Was sollte ihr die beschwichtigende

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