Der Kuss des Jägers
verrückt, mich anzurufen? Die hören doch alles mit,
was über …«
»Halt die Klappe und hör zu! Ich rufe doch nicht von einem
Gefängnisapparat aus an. Für wie blöd hältst du mich? Das ist ein fremdes
Handy, das jemand hier reingeschmuggelt hat.«
»Oh, verstehe. Okay. Aber das ist nur so lange sicher, wie sie’s dir
nicht abnehmen, ist dir das klar? Spül’s das Klo runter, wenn du alle Anrufe
erledigt hast.«
»Äh, ja.« Er hätte alles gesagt, um Alex erst mal zu beruhigen.
»Demnach weißt du, dass ich im Knast bin.«
»Ja. Sophie war hier und hat’s mir erzählt. Üble Sache. Bei uns ist
noch kein Bulle aufgetaucht, aber …«
»Sophie war im Laden?«
»Ja, warum nicht? Sie hat sich ein paar Bücher ausgeliehen, weil sie
Angst vor diesem Kafziel hat. Der lässt nicht locker bei ihr.«
Verdammt! Aber was hatte er anderes
erwartet? Vor lauter eifersüchtiger Sorge, dass sie sich nun ihrem Retter
Gadreel hingab, hatte er nicht mehr daran gedacht, wie hartnäckig der Dämon
hinter seinem mit Blut besiegelten Opfer her sein musste. Doch sie hatte den
gefallenen Engel, der sie niemals kampflos an Kafziel abtreten würde. Noch ein
Grund mehr, dem Mistkerl dankbar zu sein.
»Soll ich ihr …«
»Sie hat einen Beschützer, der das schon regeln wird. Wenn sie
trotzdem Hilfe braucht, schick sie zu Gaillard! Der weiß, was zu tun ist.«
»Geht klar. Hast du Caradec … «
»Nein! Ich erklär’s ein anderes Mal. Hier kann jeden Moment ein
Aufseher vorbeikommen. Ich brauche deine Hilfe, weil ich hier nicht
recherchieren kann. Caradec hat mir den entscheidenden Hinweis darauf gegeben,
was hinter all dem steckt. Kafziel will die Wächter befreien. Die Wächter, verstehst du?«
»Ja, ja, schon klar. Du hast ja schon die ganze Zeit gesagt, dass
sich alles um das Buch Henoch dreht. Aber wie soll das denn gehen? Klingt ein
bisschen nach Gruselschocker: Ein Blutopfer öffnet die Pforte der Hölle. Wenn’s
so einfach wäre, stünde sie schon lange offen.«
»Es scheint einen Schlüssel zu geben, an den Kafziel nur durch
dieses Ritual gelangen kann. Du musst sämtliche infrage kommenden Quellen nach
diesem Schlüssel abgrasen, Henoch, alle anderen Apokryphen, die Scholastiker,
Petersdorff, aber auch die Ketzer, Papini, Crowley, La Vey.«
»Jean, weißt du, was für eine Arbeit das ist? Es gibt nicht von
allen eine Online-Ausgabe, die ich mal eben nach ›Schlüssel‹ durchsuchen lassen
kann.«
»Das wäre auch viel zu ungenau. Möglicherweise sind es nur
Andeutungen, die man richtig interpretieren muss.«
»Jean!«
»Die Befreiung der Wächter läutet das Ende der Zeit ein, Alex. Ich
brauche dich, um die Apokalypse zu verhindern.«
Alex seufzte. »Wow. Wer kann dazu schon Nein sagen?«
»Du jedenfalls nicht. Du willst doch immer ein Held sein.«
»Nur in der virtuellen Welt.«
Auf dem Gang näherten sich Schritte.
»Tja, zu spät. Ich muss Schluss machen, Alex. Lass mich über
Gaillard wissen, wenn du was rausbekommst.«
»Gaillard? Aber wie soll der denn …«
Jean brach die Verbindung ab und lauschte, bis der Wärter
vorübergegangen war. Nachdenklich schaltete er das Handy ab und legte es neben
sich. Auf Alex konnte er sich verlassen, aber es würde tatsächlich eine ganze
Weile dauern, bis er das Gros der Texte gesichtet haben und vielleicht auf
einen Hinweis gestoßen sein würde – wenn überhaupt. Er konnte nur hoffen, dass
ihnen so viel Zeit blieb. Ohne ein Opfer kam Kafziel offenbar nicht an den
Schlüssel heran. Er brauchte also Macht dazu. Was wiederum hieß, dass dieser
Schlüssel entweder gut bewacht war oder an einem sehr wirkungsvoll magisch
gesicherten Ort lagerte.
»Was war denn das für ein blödes Gequatsche?« David stand in der
Tür, wodurch der kleine Raum sofort noch beengter wirkte.
Jean verdrehte die Augen. »Verstehst du sowieso nicht.«
»Ach nein? Warum nicht? Weil ich ’n dummer Nigger bin?«
Konnte er nicht einmal mehr in Ruhe nachdenken? »Nein, weil du von
nichts eine Ahnung hast.«
»Du Scheißfreak hältst dich wohl für den Allergrößten.«
Das Bein bewegte sich so schnell, dass Jean nur noch die Arme vors
Gesicht reißen konnte. Doch der erwartete Tritt blieb aus. Stattdessen drang
ein Knirschen an sein Ohr, während er bereits aufsprang. David stampfte ein
zweites Mal mit dem Absatz auf das verformte Handy.
Heiße Wut flammte in Jean auf. Ein Monatslohn weg, und er hatte
nicht einmal mit Sophie sprechen können. »Jetzt reicht’s!« Seine
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