Der Kuss des Jägers
was ihr
auch nur einen Versuch in Sachen Zauberei wert schien. Vielleicht sollte sie
sich doch lieber um einen Vorrat an Weihwasser und ein Kreuz bemühen, auch wenn
sie sich Kafziel damit nur vom Leib halten, aber nicht seine Besuche verhindern
konnte.
Ein paar fedrige Wolken über den Gebäuden der Sorbonne unterstrichen
nur, wie blau der Himmel über den hellgrauen Mauern auch an diesem Vormittag
schon wieder strahlte. Sophie wünschte, sie könnte die Straße hinab zum
Seineufer gehen und einfach den herrlichen Tag genießen, an den Ständen der
Bouquinisten entlangbummeln, in ihren Auslagen stöbern und ein Eis schlecken,
wie sie es einst mit Rafe getan hatte. Sie ertappte sich bei einem Seufzer.
Rafe war der Grund, warum sie stattdessen den dämmerigen, stickigen Buchladen
betrat.
Enttäuscht stellte sie fest, dass nur die junge Frau mit dem
Pferdeschwanz hinter der Kasse stand und einem Kunden gerade erklärte, dass
seine Bestellung erst morgen eintreffen werde. Wie hieß sie noch gleich?
»Claudine? Ist Alex nicht da?«
»Der ist oben.« Claudine zeigte an die Decke, als ob es noch ein
anderes Oben geben könnte.
»Ah, danke.« Zögernd suchte sich Sophie den Weg durch die Regale.
Durfte sie die private Bibliothek betreten, ohne eingeladen zu sein? Doch
Claudine machte keine Anstalten, sie anzukündigen oder aufzuhalten, also fasste
sie sich ein Herz, stieg die schmale Treppe hinauf und klopfte.
»Ja?« Alex saß über ein Buch gebeugt an einem der Tische, unter dem
zwei leere Plastikflaschen und ein Pizzakarton lagen. »Ah, Sophie. Salut!« Es
klang so müde, wie er aussah. Unter seinen Augen hoben sich dunkle Ringe von
der blassen Haut ab.
»Salut! Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Nein, na ja, schon«, gab er zu. »Aber ich freue mich über die
Unterbrechung, wenn du verstehst, was ich meine.« Er deutete auf den dicken
Band, der vor ihm lag. Hauchdünne, dicht bedruckte Seiten ließen sie ahnen, wie
mühselig die Lektüre sein musste.
»Ähm, ja, als Buchhändler muss man wohl sehr viel lesen.« Der
Anblick ermutigte sie nicht gerade, ihn auch noch mit ihren Problemen zu
belästigen. »Ich … bringe einen Großteil der Bücher zurück.« Sie wuchtete die
Tasche auf den Tisch und begann, die Leihgaben herauszuholen. »Ich bin auch
ganz vorsichtig damit umgegangen.«
»Das ist gut. Danke. War etwas Hilfreiches dabei?«
»Ich fürchte nicht. Aber eins habe ich noch vor mir.« Wieder zögerte
sie und zog ein anderes Thema vor. »Hör mal, es kann sein, dass ich beschattet
werde, weil die Flics glauben, dass ich sie zu Rafael führe. Ich war nicht
sicher, ob ich überhaupt herkommen soll, aber … Das ist doch nicht schlimm,
oder? Ich wusste nicht, wie ich sonst …«
Alex winkte ab. »Sie waren schon hier. Gestern Nachmittag. Ein
Capitaine Lacour hat meinem Vater ein Foto von Jean unter die Nase gehalten und
wollte wissen, ob er den Mann schon mal gesehen habe. Papa sagte, ja, das sei
ein Kunde, der öfter bei uns einkaufe. Ich hab echt die Luft angehalten. Ich
dachte, jetzt kommt’s, jetzt kontert er, dass sie von seiner Arbeit hier
wissen. Aber er hat nur gefragt, ob ihm an Jean irgendetwas aufgefallen sei.
Und ob er sich hier mit anderen Leuten getroffen habe. Ob Papa vielleicht sogar
von irgendwelchen Feindschaften in dieser Szene wisse. Haben wir natürlich
alles abgestritten. Ich auch, als sie mit dem Foto zu mir kamen. Bin nur froh,
dass ich Jeans Angebot, bei ihm einzuziehen, nie angenommen habe.«
»Oh.« So gut waren die beiden also befreundet.
»Im ersten Moment dachte ich, sie kommen wegen Jeans Anruf. Dass sie
das Handy bei ihm gefunden und meine Nummer gesehen haben, aber …«
Sophie stutzte. »Er hat ein Handy?«
»Jedenfalls sagte er das, als er sich gestern gemeldet hat. Muss
irgendwie illegal in den Knast gelangt sein.«
Warum hatte Jean nicht sie angerufen? Sie
musste unbedingt wegen des Schlüssels mit ihm reden und hätte ihm gern
versichert, dass sie alles tat, um ihn zu entlasten. »Und du hast jetzt seine
Nummer?«
»Ja, sicher, die wird ja ange… äh, du willst doch nicht etwa
anrufen?«
Liebend gern hätte sie auf der Stelle die Nummer gewählt, aber ihr
war bewusst, dass sie ihn damit in Teufels Küche bringen konnte. »Nein, vergiss
die Frage, das geht natürlich nicht.« Nicht auszudenken, was womöglich geschah,
wenn unter den Augen eines Wärters plötzlich dieses Handy klingelte. »Wenn er
sich wieder bei dir meldet – würdest du ihm ausrichten, dass
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