Der Kuss des Jägers
Rafe und ich nach
dem Schlüssel suchen wollen, den Caradec erwähnte? Wir haben nur keinen
Anhaltspunkt, wo wir anfangen sollen.«
Alex sah sie einen Moment lang verdutzt an, dann grinste er.
»Willkommen im Club. Genau damit hat mich Jean gestern beauftragt.«
»Wirklich?«, staunte sie. Na, hätte ich mir auch
denken können, dass ihm die Sache keine Ruhe lässt. Er mochte noch so
sehr in Schwierigkeiten stecken, seine Gedanken galten dem Wohlergehen anderer.
Dass sie an seiner Verhaftung schuld war, versetzte ihr erneut einen
schmerzhaften Stich.
»Und ob! Die Arbeit, die er mir aufgebrummt hat, kannst du dir gar
nicht vorstellen. Ich sitz nicht freiwillig schon die ganze Nacht über diesem Zeug.«
Alex nickte in Richtung des aufgeschlagenen Werks. »Aber jetzt haben mir die
Engel ja eine Helferin geschickt.« Er stand auf und holte zwei blau
eingebundene Bücher vom Schreibtisch am Fenster. »Egon von Petersdorffs
Standardwerk über Dämonologie. Alles auf Deutsch. Ich hätte ohnehin nur die
Hälfte verstanden.«
Zu überrascht, um abzulehnen, nahm sie die silbern bedruckten Bände
an. »Du sprichst Deutsch?«
»Nur äin bis-schen«, wehrte er auf Deutsch ab und wechselte wieder
in seine Muttersprache. »Ich kann’s recht gut lesen, aber im Reden bin ich kein
Held.«
»Lâche – Feigling«, schalt sie ihn, doch sie musste dabei lächeln.
Der Anblick der Bücher ließ sie jedoch schnell wieder ernüchtern. »Und da
könnte ein Hinweis auf diesen Schlüssel drin sein?«
»Da wir keinen Schimmer haben, müssen wir wohl alles versuchen.«
»In Ordnung. Falls, äh, sich Jean noch mal meldet …« Konnte sie ihm
irgendetwas Sinnvolles ausrichten lassen?
»Ja?«
»Keine Ahnung. Sag ihm einfach Grüße von mir – und dass es mir
leidtut.«
»Mach ich. Sollen wir Telefonnummern … Nein, besser nicht. Ich lass
mir was einfallen.«
»Ich komme einfach wieder, sobald ich die hier durchhabe«, versprach
sie und steckte die Bücher in ihre Tasche. Sie konnte nicht länger bleiben,
sonst würden die Ermittler bestimmt misstrauisch werden.
Schon im Laden musste sie an einer Frau vorbei, von der sie den
Eindruck hatte, sie habe schnell weggesehen, als sie im Durchgang zur Treppe
aufgetaucht war. O Gott! Was würde Claudine
antworten, wenn sich die Fremde nun erkundigte, was sich im Obergeschoss
verbarg? Die Polizei würde sich unweigerlich fragen, was Sophie in den
Privaträumen der Buchhandlung zu suchen hatte. Sie spürte sich erröten und
hastete aus dem Laden, obwohl das die Sache nicht besser machte.
Draußen glühten Asphalt und Steine. Die Sonne ließ Teile der dunklen
Limousine, die am Bordstein parkte, blendend hell aufglänzen. Sophie schenkte
den Männern, die sie aus dem Augenwinkel aussteigen sah, keine Beachtung. Was
sollte sie Gournay sagen, wenn er sie mit ihrem Besuch bei Alex konfrontierte?
Warum hatte sie nicht …
Als eine Hand ihren Arm packte, zuckte sie zusammen. Das Auto schoss
von hinten heran und bremste vor ihr wieder ab. Etwas Hartes bohrte sich in
ihre Rippen.
»Lächeln!«, befahl Antoine. »Lächeln und einsteigen!«
W as soll das? Wo bringen Sie
mich hin?« Sophie hörte selbst, wie schwach und piepsig ihre Stimme klang,
obwohl sie anderes beabsichtigt hatte.
Der schmächtige Linot, dessen Name Hänfling bedeutete, und Antoine,
der den Revolver zurück in das Holster unter seinem offenen Hawaiihemd
geschoben hatte, klemmten sie förmlich auf dem Rücksitz ein. Vorn saß nur der
schwarze Fahrer, ohne ein Wort zu verlieren, und lenkte den Wagen rücksichtslos
zügig durch den Pariser Verkehr.
»Halt die Klappe! Wirst du schon sehen«, blaffte Antoine. Sicher
hatte er ihr nicht vergeben, dass sie ihm bei ihrem letzten Zusammenstoß dank
Genevièves Hilfe entkommen war. Ihr Arm schmerzte noch immer, wo seine Pranke
die Muskeln und Nerven gequetscht hatte. Dieses Mal hatte sie nicht gewagt,
sich zu widersetzen. Nicht mit einer Waffe, die auf ihr Herz gerichtet war. Sie
sah von seinem düsteren Gesicht, über dem die Hitze Schweißperlen auf die
Halbglatze trieb, zu Linot, der sich eine Zigarette anzündete.
»Hättest wohl nicht gedacht, dass wir uns wiedersehen, nachdem dein
Freund verschwunden ist«, vermutete er. »Der Patron ist ziemlich sauer. Kann’s
nicht leiden, wenn jemand einfach so abhaut, ohne sich zu verabschieden.«
»Was hat das mit mir zu tun? Ich kann Ihnen nicht helfen. Ich weiß
nicht, wo er steckt.« Schuldete Rafe diesen Gangstern noch etwas, dass sie
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