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Der Kuss des Jägers

Der Kuss des Jägers

Titel: Der Kuss des Jägers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lukas
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Damals hatten sie feststellen
müssen, dass sich jede Sammlung zwar exakt dort befand, wo sie im Lageplan
eingezeichnet war, doch wie man hineinkam, ging aus der Skizze leider nicht
immer hervor. Einige Male hatten sie vor verschlossenen Türen oder gar einer
Mauer gestanden und ratlos eine neue Route ausprobieren müssen.
    »Ein Engel zu sein, hat seine Vorteile.«
    Sie verkniff sich eine Erwiderung, da ihr nichts Sinnvolles einfiel,
und folgte ihm eine Treppe hinauf und einen glasüberdachten Innenhof entlang,
der steinerne und bronzene Statuen beherbergte. Die Motive entstammten zwar
meist der Antike, doch schon der gute Zustand verriet das deutlich geringere
Alter dieser Werke.
    Was … Raphael hatte so überraschend
innegehalten, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes in ihn hineinlief, bevor
sie ebenfalls stehen bleiben konnte. Das Ausbleiben des erwarteten Aufpralls
verwirrte ihre Instinkte, während sich ihr Verstand bereits nach dem Grund für
das plötzliche Anhalten fragte.
    »Hier stimmt etwas nicht.«
    Vor ihnen auf dem Gang konnte Sophie nichts Ungewöhnliches
entdecken. Zur Linken lag hinter weißen Arkaden der Hof, zur Rechten zweigten
ein paar Türen ab, und am Ende gewährte eine Glaswand Blick in einen weiteren
Saal oder Hof, ganz genau ließ es sich noch nicht ausmachen. Auch die wenigen
Besucher, die denselben Weg eingeschlagen hatten, sahen von hinten weder
verdächtig aus, noch benahmen sie sich seltsam.
    Im Gegensatz zu mir, dachte sie, als sie
zu Raphael aufblickte, der wieder außerhalb ihres Körpers stand. Was ist los? Mit einem Mal fiel ihr wieder ein, dass auch
Kafziel den Schlüssel in seinen Besitz bringen wollte. Lauerte er etwa hier auf
sie? Alarmiert sah sie sich noch einmal um.
    Raphael ging weiter, ohne auf ihre Gedanken einzugehen. Sein Blick
war konzentriert nach vorn gerichtet. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte
sie ihm, hielt sich bereit, sofort wieder zurückzuweichen, falls er erneut so
unvermittelt stehen blieb. Schon erstarrte er wieder. Aus seiner Miene sprach
ernstes Staunen.
    Was? Was ist denn? Ängstlich blickte sie
zwischen ihm und dem mittlerweile leeren Gang hin und her. Es gab nur noch eine
Tür.
    »Ich kann diese Räume nicht betreten.« Endlich sah er sie wieder an. »Es tut mir leid. Du musst
allein weitergehen.«
    »Aber …« Sobald ihr das Wort entschlüpft war, merkte sie, wie
auffällig sie sich benahm. Sie zwang sich, ihn nicht mehr anzusehen, versuchte
stattdessen, den Eingang zum nächsten Raum im Augenwinkel zu behalten, während
sie vermeintlich eine nahe Skulptur im Hof betrachtete. Wieso
kannst du nicht mitkommen? Wie soll ich denn ohne dich den Schlüssel erkennen?
    »Das weiß ich nicht, aber wenn ich weitergehe,
werden seine Wächter mich auslöschen. Sie verteidigen ihn gegen Engel wie gegen
Dämonen – ohne Unterschied.« Seine Stimme bekam einen ironischen Klang. »Siehe, selbst seinen Heiligen traut Gott nicht.«
    Weil sie eigene Entscheidungen treffen und stürzen können, begriff
Sophie. In ihrer Kehle bildete sich ein Kloß. Wenn diese Hüter Engel und
Dämonen vernichten konnten, was würden sie mit Menschen tun, die nach dem
Schlüssel trachteten?
    »Tust du das denn?«
    Was?
    »Nach dem Schlüssel trachten.«
    Eigentlich nicht. Sie wollte nur
verhindern, dass er Kafziel in die Hände fiel, weil Jean dann das Schlimmste
befürchtete.
    »Habt ihr dann nicht das gleiche Ziel?«
    Aber du willst doch auch nichts anderes und gehst
trotzdem nicht weiter!
    »Vielleicht werden sie auch dich aufhalten. Du
weißt, dass ich die Zukunft nicht sehe, und das Wesen der Kerubim entzieht sich
zu einem gewissen Grad dem Verständnis niederer Engel. Ich darf mich ihnen
nicht weiter nähern.«
    Sophie wollte tief durchatmen, um ihren Mut zusammenzunehmen, doch
ihr Hals war wie zugeschnürt. Oder war es die Brust, die sich nicht weiten
wollte? Ihre Knie fühlten sich zu nachgiebig an, ihr Magen flau. Aber durfte
sie einfach umdrehen, solange sie kein unmissverständliches Zeichen bekommen
hatte, dass sie unerwünscht war? Jean würde enttäuscht von ihr sein, wenn sie
nicht probierte, mehr zu erfahren. Wie sollten sie sonst einen Weg finden,
Kafziel aufzuhalten?
    Sie gab sich einen Ruck und näherte sich der offenen Tür.

B ereits von der Pont de la
Tournelle hinab musterte Jean die Menschen, die sich am Seineufer gegenüber der
Île Saint-Louis aufhielten. Das helle Gestein, aus dem Brücke und Kaianlagen
errichtet worden waren, leuchtete in der

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