Der Kuss des Jägers
merkte sie, dass Gonod sie erwartungsvoll ansah. »Ich …
kann dazu nicht viel mehr sagen, als ich schon ausgesagt habe. Woher soll ich
wissen, dass Sie mich nicht in die Psychiatrie stecken, wenn ich noch mehr von
Dämonen und Exorzismen erzähle?«
»Das würde ich niemals …«, begann er empört, verstummte dann jedoch
und schien die Sache zu überdenken. »Sie haben recht. Ich kann nicht von Ihnen
erwarten, dass Sie mir vertrauen. Aber ich hoffe, dass ich das ändern kann.
Gute Nacht, Mademoiselle.«
Würde es uns weiterhelfen, wenn ich
Gonod davon überzeugen könnte, dass es Dämonen gibt und Caradec von Kafziel
getötet wurde?, fragte sich Sophie, als sie auf Socken vom Bad in ihr
Zimmer tappte. Madame Guimard hatte sich bereits ins Bett zurückgezogen, weil
sie sich unwohl fühlte. Sophie hoffte, dass es nichts mit der Wunde durch das
Brotmesser zu tun hatte, die im Gegensatz zu ihrem eigenen Schnitt nur schlecht
verheilte. Noch so ein Punkt, den ihr der Brigadier wohl kaum abnehmen würde.
Schließlich fiel es ihr selbst schwer zu glauben, dass ein Spielzeugauto über
das Leben ihrer Eltern entscheiden sollte oder eine Klinge durch dämonischen
Einfluss abglitt, wo auch Unachtsamkeit und Zufall als Erklärung taugten.
Nein. Leise schloss sie die Tür und ging
zum Kleiderschrank. Selbst wenn sie Gonod dazu brachte, in diesem Fall
übersinnliche Hintergründe anzunehmen, galt das längst nicht für Lacour oder
Gournay. Und sogar dann wären alle Anklagepunkte bis auf Mord bestehen
geblieben. Kopfschüttelnd öffnete sie den Schrank und begann, ihre Bluse
aufzuknöpfen. Auf Wunder vonseiten der Polizei zu warten, war zwecklos. Anstatt
sich Gedanken über Gonods Vorstoß zu machen, sollte sie lieber Rafe eine Nachricht
schicken, dass sie mit ihm in den Louvre musste. Die anderen Besucher würden
sie zwar für wunderlich halten, wenn sie sich mit einem Unsichtbaren
unterhielt, aber … Nein, das ging nicht! Immerhin wurde sie nach wie vor
observiert. Über Nacht mit Selbstgesprächen anzufangen, würde die Ermittler
sofort misstrauisch machen. Nachdenklich streifte sie die Bluse ab, hängte sie
in den Schrank und zog den BH aus. Sie musste wohl
auf seine Fähigkeit zurückgreifen, ihre Gedanken zu lesen und für andere unhörbar
in ihrem Kopf zu sprechen.
»Wann habe ich dir zuletzt gesagt, wie schön du
bist?«
Die Stimme war so laut und deutlich, dass sie sich wie von selbst
umdrehte, und doch zuckte sie bei seinem Anblick zusammen, schlug sogar die
Hände vor die nackte Brust, bevor ihr bewusst wurde, wie albern es war. Hatte
er ihren Busen vor … all dem nicht oft genug gesehen?
»Rafe! Hast du mir einen Schreck eingejagt. Es ist nicht fair, wenn du
plötzlich hinter mir stehst, ohne mich vorzuwarnen.«
Lächelnd legte er einen Finger auf ihre Lippen. »Schschsch,
du wirst noch Madame Guimard wecken. Bitte entschuldige. Ich sollte daran
denken, dass du Grund hast, schreckhaft zu sein.«
Allerdings. Genauso gut hätte Kafziel
hinter ihr auftauchen können, ohne dass sie es merkte.
»Deshalb bin ich hier. Er sinnt auf Rache und war
bereits auf dem Weg hierher. Meine Anwesenheit wird ihn für heute Nacht
fernhalten.«
Nur für heute. Sophie schluckte.
»Hab keine Angst.« Er zog sie an sich und
streichelte ihren Nacken. »Du weißt, dass es ihm die Türen
öffnet. Du hast das nicht nötig. Du bist stark.«
Sie spürte die mächtige Liebe des Engels in sich überfließen und die
Furcht auslöschen. Dankbar erwiderte sie seine Umarmung. Der Stoff des T -Shirts, der sich unter ihren Fingern weich anfühlte,
schien ihren Brustwarzen beinahe rau. Die Nacht im Jardin du Luxembourg, in der
er sie hatte verführen wollen und es ihm fast gelungen war, fiel ihr wieder
ein. Die Leidenschaft, mit der er sie berührt hatte. Schreck fuhr ihr in die
Glieder, als auch die Erinnerung an Jeans Kuss aufflackerte. Unwillkürlich
klammerte sie sich an Rafe, drängte panisch die Bilder und Gefühle zurück.
Hoffentlich hatte er sie nicht bemerkt! Beschämt blickte sie zu ihm auf. Der
Blick der tief blauen Augen war unergründlich. Sollte sie etwas sagen? Sich
rechtfertigen?
Doch er neigte den Kopf, senkte ihn, um sie zu küssen. Erleichtert
und doch von Unruhe erfüllt, kam sie ihm entgegen, öffnete die Lippen,
erwiderte den Kuss so innig, dass es an Verzweiflung grenzte. Würde er sie je
wieder so berühren wie in jener Nacht? Sie an sich ziehen, als ob er sich nach
ihr verzehrte?
Als er die Arme fester um sie
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