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Der Kuss des Killers

Der Kuss des Killers

Titel: Der Kuss des Killers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. D. Robb
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schien dabei nie wütend zu sein. Er hat einfach plötzlich die Faust geballt, zugeschlagen und einem die Knochen gebrochen. Mit der gleichen Ruhe, mit der sich ein anderer Mensch vielleicht eine Fliege vom Jackenärmel schnipst.«
    Unter Mühen öffnete er seine auf dem Knie geballte Faust und zwang die Finger auseinander. »Er hat zugeschlagen wie ein Hai, schnell und völlig lautlos. Es gab nie irgendeine Warnung, nie irgendeinen Hinweis. Mein Leben, meine Schmerzen, hingen total von seinen Launen ab. Ich habe meine Zeit in der Hölle schon durchlebt«, fügte er beinahe gebetsartig hinzu.
    »Und niemand hat Ihnen geholfen? Niemand hat je versucht, dazwischenzugehen?«
    »Wir haben nie lange an einem Ort gelebt. Bekanntschaften oder gar Freundschaften zu schließen war uns streng verboten. Er behauptete, er müsse das Wort seines Gottes überall verbreiten. Und wenn er mir einen Knochen gebrochen hatte, hat er mich selbst, ganz der besorgte Vater, ins Krankenhaus gebracht.«
    »Sie haben niemandem davon erzählt?«
    »Er war mein Vater und es war mein Leben.« Chas hob seine Hände und ließ sie wieder fallen. »Wem hätte ich etwas davon erzählen sollen?«
    Sie hatte ebenfalls niemandem etwas erzählt. Sie hatte ebenfalls niemanden gehabt.
    »Außerdem habe ich es ihm eine ganze Zeit geglaubt, wenn er gesagt hat, es wäre richtig, was er tut.« Chas’ Augen begannen abermals zu flackern. »Und natürlich habe ich ihm geglaubt, dass mich schreckliche Schmerzen und eine schreckliche Strafe ereilen würden, wenn ich etwas sagte. Ich war dreizehn, als ich zum ersten Mal von ihm vergewaltigt worden bin. Es wäre ein Ritual, hat er zu mir gesagt, als er meine Hände gefesselt hat und ich geweint habe. Ein Initiationsritus. Sex wäre das Leben. Es wäre notwendig, darin eingeführt zu werden. Und er würde es seiner Pflicht und seinem Recht entsprechend tun.«
    Er griff nach der Teekanne, schenkte sich nach und stellte sie ordentlich zurück an ihren Platz. »Ich weiß nicht, ob es eine Vergewaltigung gewesen ist. Ich habe mich nicht dagegen gewehrt. Ich habe ihn nicht angefleht aufzuhören. Ich habe lediglich still geweint und mich ihm unterworfen.«
    »Es war eine Vergewaltigung«, klärte ihn Peabody mit leiser Stimme auf.
    »Tja…« Er konnte den frisch eingeschenkten heißen Tee noch nicht trinken, hob aber trotzdem die Tasse in die Luft. »Ich habe niemandem etwas davon erzählt. Selbst Jahre später, als er längst im Knast saß, habe ich der Polizei kein Wort davon gesagt. Ich habe nicht geglaubt, dass sie ihn auf Dauer im Gefängnis behalten würden. Ich habe nicht geglaubt, dass sie das könnten. Er war zu stark, zu mächtig, und all das Blut an seinen Händen hat seine Macht in meinen Augen noch verstärkt. Seltsamerweise war es der Sex, der meine Mutter dazu gebracht hat, mit mir vor ihm davonzulaufen. Nicht die Gewalt, nicht der kleine Junge mit den ständig gebrochenen Knochen und nicht einmal die von ihm verübten Morde, von denen sie, wie ich glaube, wusste. Es war der Anblick von ihm, wie er sich, umgeben von schwarzen Kerzen, auf seinem Altar über mich gekniet hat. Er hat sie nicht gesehen, aber ich. Ich habe ihr Gesicht gesehen, als sie in den Raum kam. Sie hat mich dort zurück- und ihn sein Werk vollenden lassen, aber als er an dem Abend aus dem Haus ging, lief sie mit mir davon.«
    »Und trotzdem ist sie nicht zur Polizei gegangen.«
    »Nein.« Er sah Eve nun ins Gesicht. »Ich weiß, Sie glauben, wenn sie das getan hätte, hätten vielleicht die Leben mehrerer Menschen gerettet werden können. Aber Angst ist ein alles beherrschendes Gefühl. Ihr einziges Ziel war zu überleben. Nachdem sie ihn verhaftet hatten, war ich bei der Verhandlung jeden Tag im Saal. Ich war sicher, irgendwie würde er dafür sorgen, dass die ganze Sache aufhört. Selbst als sie sagten, sie würden ihn einsperren, habe ich es nicht geglaubt. Ich habe einen anderen Namen angenommen und versucht, ein normales Leben anzufangen. Ich habe eine Arbeit gelernt, die mich interessierte und für die ich ein gewisses Talent zu haben schien. Aber ich ließ niemanden jemals an mich heran. Ich war erfüllt von einem glühend heißen Zorn. Ich sah in ein Gesicht und habe es, nur weil es glücklich oder traurig war, gehasst. Ich habe sie alle gehasst, weil auf ihren Leben kein solcher Schatten wie auf dem meinen lag. Genau wie mein Vater blieb ich nie lange an einem Ort. Aber als ich merkte, dass ich erneut mit großer Ruhe und großem

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