Der Kuss des Killers
Menschen, die in ihnen leben.«
Vor ihnen bog ein Wagen um die Ecke, der Fahrer hupte das Meer der Fußgänger, die bei Grün über die Straße strömten, zornig an und deftige verbale Beschimpfungen sowie deutliche Handsignale flogen hin und her. Jemand spuckte vor ihm aus.
Aus den Belüftungsschächten der U-Bahn stiegen schmutzige Dampfwolken und mischten sich mit dem Qualm eines klapprigen und offensichtlich nicht zugelassenen Schwebegrills, der sich hustend durch die Masse nasser Menschen schob. Eine Etage höher blieb auf einmal eine Hochbahn stehen und ihre Passagiere machten ihrem Unmut mit Flüchen und lautstarken Beschwerden Luft.
Über ihren Köpfen pries jemand über die Lautsprecher eines Touristenfliegers unüberhörbar die Vorzüge und Höhepunkte des Lebens in der Stadt.
Froh, wieder in das ihr vertraute, arrogante, übervölkerte New York zurückgekehrt zu sein, atmete Peabody tief durch und fuhr mit ihrer kurzen Rede fort. »Roarkes Haus zum Beispiel ist prachtvoll und elegant und beeindruckend, aber zugleich geheimnisvoll und sexy.« Sie war zu sehr mit ihrem Handcomputer beschäftigt um zu sehen, dass Eve sie amüsiert von der Seite betrachtete. »Und das Haus meiner Eltern ist ein offener und warmer, wenn auch etwas chaotischer Ort.«
»Und was ist mit Ihrem Appartement, Peabody? Wie ist das?«
»Das wird nur übergangsweise von mir bewohnt«, kam die bestimmte Antwort. »Dallas, das Link in Ihrem Wagen geht nicht. Eigentlich müsste ich von hier aus Daten übermitteln können – « Sie brach ab, als Eve sich nach vorne beugte, die flache Hand auf das Armaturenbrett krachen ließ und ein, wenn auch leicht wackeliges Bild auf dem Monitor erschien. »So ist es schon besser«, beschloss sie und gab eine Anfrage nach Alban ein.
Alban – kein anderer Name bekannt – geboren am 22.3.2020 in Omaha, Nebraska.
»Seltsam«, meinte Eve. »Er sah nicht so aus, als ob man ihn mit Mais großgezogen hätte.«
Passnummer, fuhr der Computer hicksend fort, 31.666-LRT-99. Eltern unbekannt. Familienstand ledig. Beruf unbekannt. Finanzielle Daten nicht erhältlich.
»Interessant. Klingt ganz so, als würde er von Selina leben. Einträge ins Strafregister, sämtliche Verhaftungen.«
Keine Einträge im Strafregister.
»Ausbildung?«
Unbekannt.
»Entweder hat der Gute seine Akte gesäubert oder jemand anderes hat es für ihn getan«, erklärte Eve frustriert. »Man ist nicht beinahe vierzig, ohne dass es mehr Daten über einen gibt. Er scheint irgendwo Beziehungen zu haben.«
Sie brauchte Feeney, dachte sie genervt. Feeney könnte zusätzliche Informationen aus dem Computer herauskitzeln. Stattdessen wäre sie gezwungen, sich erneut an Roarke zu wenden und ihn abermals in ihre Ermittlungen mit einzubeziehen.
»Verdammt.« Sie hielt vor dem Spirit Quest, sah das Geschlossen-Schild und runzelte die Stirn. »Laufen Sie mal rüber und gucken Sie durch die Scheibe, Peabody. Vielleicht ist ja trotzdem jemand da.«
»Haben Sie zufällig einen Regenschirm dabei?« Eve zog eine Braue in die Höhe. »Soll das ein Witz sein?« Seufzend stieg Peabody aus dem Wagen, trottete durch den dichten Regen und spähte durch das Fenster. Leicht zitternd drehte sie sich um, schüttelte den nassen Kopf, stöhnte, als Eve mit dem Daumen in Richtung des über dem Laden befindlichen Appartements wies, stapfte jedoch resigniert um das Gebäude und stieg eine wackelige Metalltreppe hinauf. Wenig später saß sie tropfnass wieder auf ihrem Sitz.
»Es ist niemand an die Tür gekommen«, berichtete sie Eve. »Abgesehen von dem Büschel Johanniskraut über dem Eingang scheint es keine Sicherheitsvorkehrungen zu geben.«
»Abgesehen von was?«
»Abgesehen von einem Büschel Johanniskraut.« Trotz ihrer nassen Uniform und ihrer tropfenden Haare begann Peabody zu lachen. »Das ist eine Pflanze.« Amüsiert holte sie das Kraut aus ihrer eigenen Tasche. »So etwas. Sie dient dem Schutz. Sie bewahrt einen vor allem Bösen.«
»Sie schleppen irgendwelche Pflanzen in der Tasche mit sich herum, Officer?«
»Neuerdings ja.« Peabody steckte das kleine Büschel wieder ein. »Wollen Sie etwas davon abhaben?«
»Nein, danke. Ich vertraue lieber auf meinen Stunner.«
»Das hier ist der letzte Strohhalm.«
»Meinetwegen klammern Sie sich ruhig weiter daran fest.« Eve blickte sich um. »Probieren wir unser Glück in dem Café auf der anderen Straßenseite. Vielleicht wissen sie ja, weshalb der Laden heute Morgen geschlossen
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