Der Kuss Des Kjer
Haselhühner in einem Topf neben dem Feuer, während die Hasen am Spieß brieten.
Zuweilen zischten die Flammen leise, wenn etwas von dem Sud heruntertropfte, mit dem Ecren die beiden Tiere immer wieder begoss. Der Duft, der zu ihr herüberwehte, ließ ihren Magen erwartungsvoll knurren. Verstohlen sah sie auf, ob einer der Männer das Geräusch gehört hatte. Offenbar nicht, denn keiner schenkte ihr mehr Beachtung als zuvor.
Gerade legte Ecren die Sudkelle in die Schüssel mit der Tunke zurück, die er zusammen mit goldenem Öl, Kräutern und jenen geheimnisvollen Knollen - von denen Lijanas mittlerweile wusste, dass es besonders seltene und äußerst wohlschmeckende Pilze waren - angesetzt hatte, nahm einen langen Dolch zur Hand und bearbeitete die Klinge mit einem Tuch.
Zu seiner Rechten hatte Levan sich ganz nah ans Feuer gesetzt, den blonden Kopf tief über eine Schriftrolle gebeugt. Seine Lippen bewegten sich lautlos, während er mit dem Finger den Zeilen folgte.
Als sie über die Flammen hinwegschaute, begegnete sie unvermittelt Brachans gelbem Raubvogelblick. In dem Lederbecher in seiner Hand klapperte es. Als er dann die Würfel auf dem viereckigen Spielbrett ausrollen ließ, das zwischen ihm und Corfar auf seinen Fellen stand, zischte der andere Krieger einen Fluch. Ein kurzes Nicken in ihre Richtung, dann wandte er sich wieder dem Spiel zu. Scheinbar war Corfar gerade dabei, hoch zu verlieren - und Brachan wusste das. Lijanas rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. Offenkundig war der alte Krieger der Anführer der Männer. Er erteilte die Befehle, die stets sofort und ohne Murren ausgeführt wurden, und er war auch der Einzige, von dem Mordan sich etwas sagen ließ.
Abermals musterte sie die Kjer heimlich.
Kjer! Wie oft hatte sie - auch von Ahmeer - gehört, sie seien Tiere, die auf zwei Beinen gingen, von Kopf bis Fuß ekelhaft behaart, mit Krallen anstelle von Fingernägeln und entsetzlichen Reißzähnen. Gut, ihre Eckzähne waren deutlich länger als die eines Menschen und wirkten auch ungleich schärfer, aber es war nicht so, dass sie besonders über die Lippen hinausragten oder ständig zu sehen gewesen wären -
im Gegenteil. Wenn sie es darauf anlegten, konnten sie sprechen, ohne dass sie auffielen. Mit ihren Fingernägeln verhielt es sich ähnlich. Keine Spur von Krallen! Sie schienen von selbst an den Enden spitz zulaufend zu wachsen, waren etwas länger als bei einem gewöhnlichen Menschen Lind bogen sich leicht nach unten, über die Fingerkuppen. Aber abgesehen davon und dass sie die Farbe von hellem Elfenbein hatten und vollkommen undurchsichtig waren, unterschieden sie sich nicht weiter von den Fingernägeln der Menschen. Nur ihre Körperbehaarung konnte man vielleicht als etwas auffällig bezeichnen - aber abstoßend? Nicht abstoßender als die eines normalen Mannes, dem ein dichter Pelz auf Armen, Beinen, Brust und Rücken wuchs.
Verstohlen sah sie zu Levan hin, der dem Feuer am nächsten war und direkt von ihm beleuchtet wurde. Nein! Da war überhaupt nichts Abstoßendes! Wo bei einem Menschen einzelne, längere Härchen zu sehen gewesen wären, hatten sie feines, kurzes Fell. Bei Levan war es ebenso hell wie sein Haar und bei Brachan bereits ebenso grau. Außer einer Linie von den Schläfen, an den Ohren vorbei, hinunter zum Kiefergelenk und dann weiter schräg an der Seite des Halses entlang, nach hinten zu den Schultern, waren ihre Gesichter nicht anders behaart als bei gewöhnlichen Männern. Auf Levans Wangen zeichneten sich Bartstoppeln als goldener Flaum ab, Corfar sah nach einem Tag schon aus, als hätte er sich zwei Tage nicht rasiert.
Das gleiche feine Fell war auf ihren Handrücken und lief sacht über den Knöcheln aus. Nach der anderen Seite schien es sich über das Handgelenk und auf der Außenseite der Arme hinauf zu erstrecken. Da es auch ihren Nacken bedeckte und unter den Krägen ihrer Kleidung verschwand, musste es wohl ebenfalls ihre Schultern und den Rücken überziehen. Es sieht herrlich weich aus. - Ich würde es gerne einmal anfassen. Sie schüttelte über sich selbst erstaunt den Kopf. Am vergangenen Abend war ihr der Angstschweiß ausgebrochen bei dem Gedanken, sich in der Gewalt eines Rudels Kjer zu befinden - und jetzt? Sie waren Krieger - sie ihre Gefangene! Die Kjer behandelten sie nicht anders, als Menschen es vermutlich auch getan hätten. Sie waren sogar erstaunlich höflich - abgesehen von Mordan, der dieses Wort überhaupt nicht zu kennen
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