Der Kuss Des Kjer
Eliazanar war geflohen, das Seedrachenbanner lag zerfetzt und blutbesudelt im Staub. Der Angriff war so plötzlich gekommen, dass die Nivard noch nicht einmal Zeit gefunden hatten, ihre Gefangenen zu töten, geschweige denn, sie mit sich zu nehmen.
Er lehnte sich mit der Schulter an einen Baum und blickte zu der Heilerin hin, die sich gerade auf seinen Bettfellen zusammenrollte. Als er gesehen hatte, dass Levan ihr Fleisch und Brot brachte, hatte er ihr eigentlich nur den kleinen Dolch als Essbesteck geben wollen, damit sie nicht gezwungen war, mit den Fingern zu essen wie eine Unfreie. Doch als er in der Dunkelheit herangekommen war, hatte er mit ansehen müssen, wie sie Levans verkrüppelte Hand berührte und zurückzuckte.
Langsam schüttelte er den Kopf Er hätte etwas anderes erwartet, nach allem, was er in Anschara über sie gehört hatte.
***
Schon eine ganze Weile beobachtete Lijanas, wie die beinah volle Scheibe des zweiten Mondes über den Sternen besäten Nachthimmel wanderte - und lauschte dabei auf die Atemzüge des Kriegers hinter ihr.
Erst als die anderen sich schon zum Schlafen niedergelegt hatten, war er wieder aus der Dunkelheit erschienen. Er hatte ein paar kurze Worte mit Corfar gewechselt, der die erste Wache übernommen hatte, und war dann zu ihr herübergekommen. Die Augen fest geschlossen, hatte sie sich schlafend gestellt, während er seine Waffen ablegte, sich hinter ihr auf den Fellen niederließ und sich auch noch seiner Stiefel entledigte. Dann hatte er sich in seinen Mantel gewickelt und war scheinbar sofort eingeschlafen.
Sie hielt unbewusst den Atem an, als Corfar auf der anderen Seite des Feuers gemächlich aufstand und nach einem letzten Blick in die Runde zwischen den Bäumen verschwand. Verstohlen sah sie zu den anderen Kriegern hin. Sie rührten sich nicht.
Darauf bedacht, keinen Laut zu verursachen, setzte Lijanas sich auf und streifte vorsichtig die Decken von den Schultern, ohne die Schatten auf der anderen Seite des Feuers aus den Augen zu lassen. Nichts bewegte sich dort. Ganz langsam stand sie auf - und erstarrte noch halb in der Hocke, als Mordan sich unvermittelt neben ihr regte. Doch er drehte ihr nur mit einem Brummen den Rücken zu und schlief ruhig weiter.
Erneut ein kurzer Blick über die Schulter, dann richtete sie sich endgültig auf, raffte ihr Gewand bis über die Knie und stieg wachsam in über den schwarzhaarigen Krieger hinweg. Beinah wäre sie auf das Schwert getreten, das blank neben ihm lag. Sie rettete sich mit einem großen Schritt. Seine Finger schlossen sich so plötzlich um ihren Knöchel, dass sie auf den Händen und einem Knie landete.
Nein!
»Wohin, Heilerin?«, erkundigte er sich leise, während er sich auf einen Ellbogen stützte, ohne seinen Griff zu lösen.
Als ob du das nicht genau wüsstest, Mistkerl.
Mühsam drehte sie sich aus dieser unwürdigen Position zu ihm um, gestikulierte hilflos. »Ich wollte ... Ich meine ... Ich ... «
»Aha! « Er setzte sich endgültig auf
Aha? Lijanas bemühte sich, ihre Verwirrung nicht zu zeigen.
»Ich werde Euch begleiten! « Endlich ließ er ihr Bein los und griff nach seinen Stiefeln.
»Begleiten?« Erst als es schon zu spät war, wurde ihr klar, dass sie das Wort laut ausgesprochen hatte.
»Natürlich!« Ungerührt stand er auf, nahm das Schwert von den Fellen, schob es in seine Doppelscheide und gürtete sie um die Hüften. »Auch wenn Ihr nur Eure Notdurft verrichten wollt, wäre es unverzeihlich von mir, Euch allein gehen zu lassen.
«
Notdurft? Wieso ... Oh!
»Es ist nicht nötig, dass Ihr mich begleitet. Ich gehe nur ein paar Schritte zwischen die Bäume ... « Hastig erhob sie sich.
»Nein, Heilerin!«
Lijanas wich zurück, als er direkt vor sie trat, stolperte über sei, ne Satteltaschen.
Seine Hand schob sich in ihren Nacken. Sie stemmte die Hände gegen seine Brust - der Kerl trägt sogar im Schlaf noch sein Kettenhemd - und versuchte, ihn von sich zu schieben. Vergebens.
»Ich kann Euch nicht allein gehen lassen, Heilerin. Man weiß nie, welche Gefahren schon hinter den nächsten Bäumen lauern.« Sein Griff verstärkte sich, wurde grob.
»Und am Ende geht Ihr schon auf diesen paar Schritten in die Irre - und findet durch Zufall den Weg zurück nach Anschara. « Im schwachen Mondlicht glitzerte sein Auge.
Gnädige, er weiß, dass ich davonlaufen wollte!
Mühsam schluckte sie. »Dann ist es vielleicht doch besser, wenn Ihr mich begleitet.
«
»Schön, dass Ihr
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