Der Kuss Des Kjer
«
»Ja, Herr! « Zu Lijanas Erstaunen legte Levan mit einem kurzen Nicken die Faust auf die Brust und ging hinüber zum Feuer.
Mordan kniete sich hinter sie und kramte in einer seiner Satteltaschen.
»Wie ist das passiert?« Bedächtig nahm sie das Stück Brot von den Fellen auf.
»Was?«
Was? - Ochse!
»Das mit Levans Fingern.«
»Sie haben sie ihm abgeschnitten - Glied für Glied.«
Sie starrte auf das in der Schale dampfende Fleisch und stellte es beiseite.
»Warum? Ich meine: Wer tut so etwas?«
»Warum? Weil sie dachten, er sei mein Gespiele und ich würde ihnen sagen, was sie wissen wollen, wenn sie ihn an meiner statt weiter foltern.«
Foltern?
»Und wer ... ?«
»Nivard.«
»Nein! Das kann nicht sein! « Entschieden schüttelte Lijanas den Kopf. »Kein Nivard würde so grausam sein. Ihr müsst Euch geirrt haben. «
»Ja, wahrscheinlich! « Er kam näher und hielt ihr einen kleinen Gegenstand hin, der im Feuerschein glänzte. »Wahrscheinlich habe ich mich geirrt, als ich sah, wie Levans Blut auf das Banner des Seedrachen spritzte. Wahrscheinlich habe ich mich auch geirrt, als Astrachars Heermeisterin - wie heißt sie doch gleich ... Eliazanar? - ihr persönliches Siegel in mein Fleisch brannte; zum Andenken an sie. - Hier, nehmt das!
«
Rusans Heermeisterin würde niemanden foltern, um ihm sein Wissen abzupressen.
Oder?
Seltsam benommen starrte sie auf das Ding, das er ihr in die Finger drückte - und sah ihn überrascht an.
»Ihr gebt mir einen Dolch? Habt Ihr keine Angst, dass ich ihn vielleicht gegen Euch benutzen könnte?« Sie bereute die Worte, kaum, dass sie heraus waren.
Mit einem verächtlichen Schnauben stand er auf.
»Solltet Ihr es tatsächlich schaffen, mir mit dem Spielzeug auch nur einen Kratzer zuzufügen, habe ich es nicht besser verdient. - Esst und dann legt Euch schlafen. Ihr werdet Eure Kräfte morgen brauchen.«
Noch ehe Lijanas etwas sagen konnte, war er schon wieder in der Dunkelheit zwischen den Bäumen verschwunden.
***
Wie oft hatte er in den letzten Wintern diesen Kriegsheiler verflucht, der ihm an jenem Tag nur wegen einer Pfeilwunde im Oberschenkel gegen einen Willen Mohn verabreicht und ihn in die Hilflosigkeit des Drogenschlafs gezwungen hatte. Dann der Augenblick, als er unter dem Spott der Nivard an ein Folterkreuz gefesselt wieder zu sich gekommen war, der Körper schon von Schlägen geschunden, an die er sich nicht einmal erinnern konnte. Mordan ballte die Fäuste. jeder Herzschlag war in seine Erinnerung eingebrannt. Das grelle Licht einer Fackel - so nah an seinem verletzten Auge, dass der Schmerz sich wie giftige Säure in seinen Schädel fraß und ihn beinah blendete. Die Feuer, die hinter und neben ihm loderten und deren Hitze ihm den Schweiß beißend über die Haut rinnen ließ und seine Kehle verdorrte, dass selbst das Atmen eine Qual war. Das Hohngelächter der Nivard, wenn er sich unter ihren Händen vor Schmerz aufbäumte.
Und schließlich der Moment, als sie Levan in den Feuerschein zerrten. Damals hatte er nicht verstanden, warum sie auf den verrückten Gedanken verfallen waren, der junge Krieger wäre sein Bettgespiele und sein Wohlergehen würde ihm genug am Herzen liegen, damit er ihnen verriet, was sie wissen wollten. Erst Tage später hatte er erfahren, dass Levan ihn bis zuletzt gegen eine Nivard-Übermacht verteidigt hatte.
Sie hatten den jungen ihm gegenüber an ein zweites Folterkreuz gebunden. Und als Levan nach schieren Ewigkeiten schon blutüberströmt in seinen Fesseln hing, hatte keine Geringere als Eliazanar, Astrachars Heermeisterin, lächelnd vorgeschlagen, diesem tapferen Kjer-Krieger die Finger Glied für Glied abzuschneiden und mit der rechten Hand anzufangen. Levan hatte der Nivard-Hexe ins Gesicht gespuckt, aber Mordan hatte das Grauen in seinen Augen gesehen. Zuerst hatten sie dem jungen nur ein qualvolles Stöhnen entlocken können, doch dann ...
Mordan zwang sich, langsam und tief zu atmen, um die Erinnerung zu verdrängen.
Zuweilen hörte er Levans gellende Schreie noch immer in seinen Träumen.
Für lange Zeit hatte dann die Welt für ihn aufgehört zu existieren. Es hatte einzig Levan und ihn gegeben - und Qual. Er hatte versucht, dem jungen nur mit seinem Blick die Kraft zu geben, durchzuhalten - das Band zwischen ihnen war erst in dem Moment zerrissen, als Brachan und Corfar ihn von seinem Folterkreuz losgeschnitten hatten.
Die Kjer hatten das Lager von Astrachars Heermeisterin überrannt,
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