Der Kuss Des Kjer
Hülle der Menschlichkeit zurückgegeben hatten. Er stürzte sich auf Jerdt, der sich zur Seite warf, aber nicht schnell genug war, erwischte ihn mit Wucht in den Rippen. Jerdt krümmte sich keuchend, trat ihm die Beine weg. Er fiel, rollte sich ab und warf sich erneut mit gebleckten Reißzähnen auf den anderen, bekam ihn zu fassen, drosch blind auf ihn ein, suchte nach einer Möglichkeit, die Zähne in seine Kehle zu schlagen.
Etwas traf hart auf seine Wunde. Sein Griff lockerte sich, Jerdt entwand sich ihm, hieb ihm von unten gegen den Kiefer, Mordan taumelte, fing sich am Mittelpfosten, stieß sich ab und riss Jerdt auf dem Weg zum Zelteingang erneut zu Boden. Ineinander verkeilt rollten sie über die Teppiche, ein Feuerbecken kippte, Glut ergoss sich über sie, Jerdt jaulte, als sie ihn traf, krallte im nächsten Lidschlag nach Mordans Auge, er riss den Kopf zurück, Jerdts Daumen drückte gegen seine Kehle, er bekam die Hand zu fassen, bog sie weg und schlug zu. Mit einem satten Knacken brach Jerdts Nase, Blut floss, sie rollten erneut herum, Mordan kam in einem Nest aus Glut zum Liegen, stieß Jerdt von sich, sprang mit einem wilden Schrei auf die Füße, als er sah, wie der andere zum Eingang des Zeltes stürzte, und schaffte es nicht mehr, ihn zu erreichen, ehe er hinaus war. Keuchend sank er auf die Knie. Regen und eisige Böen trafen sein Gesicht, konnten das Feuer ohnmächtiger Wut aber nicht löschen.
Seine Finger gruben sich in die von der hereingewehten Nässe durchweichten Teppiche. Ihre Hand legte sich ohne Verwarnung auf seine nackte Schulter und er fuhr mit gefletschten Zähnen zu ihr herum, als hätte sie ihn gebrannt. In ihren Emeraldaugen sah er nichts anderes als Entsetzen. Bestie! Er warf sich herum und floh wie von Rachegeistern gehetzt hinaus in den Regen.
Irgendwann kauerte er im knöcheltiefen Schlamm, die Stim gegen eine Wand aus aneinandergebundenen Holzpfählen gelehnt. Der Regen rann ihm über Brust und Rücken, sog das letzte bisschen Wärme aus seinen Knochen und sammelte sich als braune Wasserpfütze um seine Knie.
Er erinnerte sich daran, dass er ziellos durchs Lager gestreift war, die Feuer und die wenigen Männer meidend, die der Regen noch nicht in die Zelte getrieben hatte, in dem instinktiven Wissen, dass jeder, der ihm begegnete, in Gefahr war. Wie er aber hierhergekommen war ... ? Er legte den Kopf in den Nacken, blickte an den Holzpfählen entlang in den Himmel, Regen prasselte auf sein Gesicht, er öffnete den Mund, ließ ihn hineinrinnen - wie oft hatte er genau das Gleiche auf der anderen Seite dieser Holzpfähle getan, im Inneren des Unfreienpferchs. Langsam breitete er die Arme aus und lehnte sich gegen die Holzwand, als wolle er sie umarmen. Leises Gelächter stieg in ihm empor. Auf das Holz hatte er sich immer verlassen können. Es hatte ihn stets gehalten, ganz egal, ob er sich wie jetzt einfach nur dagegenlehnte oder ob er halb von Sinnen vor Schmerz an einem Strafkreuz gehangen hatte. Er spreizte die Finger und schmiegte die Wange dagegen, spürte, wie der Regen über seine Haut lief ... Erinnerungen brandeten über ihn hinweg, schlugen über ihm zusammen, zerrten ihn zurück ...
Als sich Wärme um seine Schultern legte, schreckte er aus dem Dämmern auf. Er kauerte noch immer an den Holzpfählen, war mit der Schulter dagegen gesunken, vornübergebeugt, die Arme um sich geschlungen, weil der Regen seinen Körper in Eis verwandelt hatte.
»Kommt! « Ein einzelnes Wort nur. Er hob mühsam den Kopf. Über ihm stand die Heilerin. Eine Decke zum Schutz über sich gespannt, versuchte sie gerade, eine zweite Decke auch über ihn zu breiten. Lass mich! Er wollte sie von sich stoßen, die warme Wolle abschütteln - seine Glieder versagten ihm den Dienst. Sie kniete sich vor ihn, zog die Decke über seinen Kopf. »Ihr seid klatschnass und eiskalt! Kommt, ehe Ihr Euch den Tod holt! « Die Sätze drangen nur dumpf in seinen seltsam erschöpften Verstand. Beinah war es, als hätte in seinem Inneren für eine kurze Zeit ein alles verzehrendes Feuer gewütet, das nach seinem Verlöschen nur noch eine hohle Hülle zurückgelassen hatte.
Sie zerrte an seinem Arm, wollte ihn aus dem Schlamm ziehen. In einem Teil von ihm wallte Trotz auf, er wollte sie anschreien, sie solle sich dahin scheren, wo sie hergekommen war - in einem anderen Teil von ihm war nur dunkle Gleichgültigkeit.
Er ertappte sich dabei, dass er es geschehen ließ, dass sie ihn hochzog, bei der Hand nahm und
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