Der Kuss Des Kjer
Wahnsinn. - Der Geschmack von Blut und rohem Fleisch. Hilfloses Würgen. Der Magen weigert sich, die ekle Kost bei sich zu behalten. - Ein alter, lahmer Hund. Sie hat ihn manchmal mit Brot gefüttert. Voll Vertrauen sehen die braunen Augen sie an.
Ein Dolch in ihrer Hand! Arkells Stimme: » Töte ihn! « »Nein! « » Gehorche! -
Gehorche! - Gehorche! - Gehorche! Das Wort, ein entsetzliches Echo. - Dunkelheit, lähmende Kälte. Eine von unzähligen Nächten, die sie hier schon verbracht hat, die Arme über dem Kopf an einen Balken gebunden, der über der Abfallgrube liegt.
Ratten, die keinen Unterschied machen zwischen lebendem und totem Fleisch, nur weil sie wieder einmal gewagt hat, nach dem >Warum? < zu fragen. Hilflosigkeit und Entsetzen. Tränen gefrieren auf ihren Wangen zu Eis ...
Keuchend fuhr Lijanas auf, am ganzen Körper zitternd, wie der Mann unter ihren Händen, seine Stimme klang hohl, zerbrach über den Worten, die aus seinem Mund kamen. Sie spürte die Narben, die die Peitsche und Schlimmeres auf seinem Körper hinterlassen hatten unter den Fingern - und sie fühlte die Narben auf der Seele; von den Kessanan unauslöschlich hineingebrannt - ungleich tiefer als jene im Fleisch. Der Ton in seiner Stimme änderte sich ein wenig, nahm sie wieder gefangen, zog sie wieder unter die Oberfläche des Flusses ... Das Gefühl eines kostbaren Folianten unter den Händen. - Der unstillbare Hunger nach Wissen! - Stolz, weil sie fünf Sprachen lesen, schreiben und sprechen kann; weil die Sterne für sie wie eine Karte sind; weil sie die Arithmetik beherrscht. - Der Klang einer Asranéh, ihre Finger tanzen über die Saitenbündel, entlocken ihnen Schönheit. - Der Tag, an dem sie zum ersten Mal Arkell mit dem Schwert besiegt. - Der Ausdruck in seinem Gesicht, als er begreift, dass sie ihn überflügelt hat. - Ein Morgen im Herbst, der Tag, an dem sie die Schwerter der Kessanan erhalten soll. Noch bevor die Sonne aufgeht, zerrt man sie von ihrem Strohsack, schleppt sie nur im Hemd über den Hof. Verwirrung, die in Entsetzen und dann in Zorn umschlägt. Fünf Kessanan sind nötig, um sie neben dem Amboss auf die Knie zu zwingen, die sie halten, während der eiserne Ring sich von Neuem um ihren Hals legt, Zum ersten Mal seit drei Wintern kommt ein Wort als gellender Schrei wieder über ihre Lippen. »Warum? « Die Schwerter stehen ihr zu! Sie hat sie sich verdient! Sie ist ein Kessanan! Kein im Dreck kriechender Unfreier! Wut!
Alles umfassende, hilflose Wut! Sie schütten Mohnwein in ihren Schlund, um sie gefügig zu machen. Sie kämpft, würgt, die Welt verzerrt sich, verblasst! - Sie liegt auf einem Karren, Eisen an Händen und Füßen, zwischen den Zähnen ein Stück Holz wie die Kandare eines Pferdes! Die Benommenheit weicht nur langsam und lässt das Begreifen zu. Es bringt die Wut mit und etwas anderes - Angst? - Die Krieger im Heerlager schleppen sie in den Unfreienpferchs, lassen sie geknebelt und in Ketten liegen, bis sie keine Kraft mehr hat, sich ihnen zu widersetzen; lehren sie mit Hunger, Durst und Qual zu betteln und zu kriechen. - Tage vergehen, dann holen die Krieger sie aus dem Pferch, bringen sie zu König Haffrens erstem Heerführer. - Jarat!
Erbarmungslos, reizbar, schnell mit der Peitsche; ein Mann, der absoluten Gehorsam erwartet und selbst kleinste Fehler hart bestraft. Haffren hat sie diesem Mann geschenkt! Von nun an schläft sie in seinem Zelt. Auf dem Boden vor dem Mittelpfosten ist ihr Platz. Seine Ansprüche sind hoch, doch er straft nie ohne Grund und dennoch trifft die Peitsche sie oft. - Tage in Ketten vor seinem Zelt, nackt, frierend, hungrig. - Dann findet er heraus, dass sie fünf Sprachen beherrscht, lesen, schreiben, ja sogar rechnen kann. - Sie ist plötzlich nützlicher, wird sein Sekretär, begleitet ihn jetzt auch zu den Besprechungen mit seinen Offizieren. Zuweilen gewährt er ihr ein bisschen Zeit nur für sich selbst. Auf eine verdrehte Art empfindet sie nach und nach Zuneigung zu dem Mann, der ihr Leben vollständig kontrolliert; sie hat Angst vor der Peitsche und ist ihm dankbar, wenn die Strafe vorbei ist und Jarat ihr wieder erlaubt, neben seinem Stuhl zu kauern, seine Hand ihr wieder über den Kopf streicht; sein »Es ist gut, Mordan! « lässt sie manchmal vor Erleichterung zittern. Ein junger Tribun - Jerdt Hass, vom ersten Tag an, obwohl sie nicht weiß, warum! Sein Name ist wie Arkells untrennbar verwoben mit Schmerz, Demütigung, Angst und Wut - und Scham. -
Weitere Kostenlose Bücher