Der Kuss Des Kjer
einer Seelenhexe? In den Seelen anderer zu lesen? In ihren Erinnerungen zu leben? - Ich will sie nicht! Gnädige Göttin, ich will sie nicht! - Und er ahnt nicht, dass ich all das über ihn weiß! Wie soll ich ihm jemals wieder in die Augen sehen?
Zögernd beugte sie sich noch einmal über ihn. Auch als sie die Hand auf seine Schulter legte, rührte er sich nicht. Beinah schien es, als hätte ihn alle Kraft verlassen. Oder hat die verderbte Kraft einer Seelenhexe sie ihm gestohlen? Habe ich sie ihm gestohlen? Sacht strich sie über sein Haar. Sie erinnerte sich daran, wie es gewesen war, als man es ihr - ihm - mit Gewalt vom Kopf geschoren hatte. Die plötzliche Kühle, das Gefühl der Erniedrigung ... Schaudernd schloss sie die Augen. Er war der Blutwolf, die Bestie von Sajidarrah - weit andere ihn dazu gemacht hatten.
Aber hinter all der Erbarmungslosigkeit und Kälte gab es noch einen anderen Mann; den Mann, der ihr mehr als einmal das Leben gerettet hatte - den Mann, den sie in Cavallin lachen gehört hatte.
Langsam öffnete sie die Augen wieder, sah auf ihn hinab. Seine Atemzüge hatten sich beruhigt, verrieten ihr, dass er seltsam erschöpft eingeschlafen war. Aber er war immer noch kalt. Rasch holte sie die Decken vom Bett, breitete sie sorgfältig über ihn, legte sich neben ihn und drückte sich fest an seinen Rücken, um ihn zu wärmen.
Brandgeruch hing nach wie vor im Zelt. Das umgekippte Feuerbecken hatte einen der Teppiche in Flammen gesteckt und sie hatte zuerst das Feuer ausgeschlagen, ehe sie ihm nachgelaufen war - fest davon überzeugt, ihn mit den Händen an Jerdts Kehle zu finden. Sacht lehnte sie die Stirn an seinen Rücken. Das Fell war unendlich weich.
Jerdt! Seine höhnischen Worte klangen noch immer in ihrem Geist. Sie biss die Zähne zusammen. – Die Pest an deinen arroganten Hals! Wie kann ein Mensch einen anderen nur so sehr hassen? Er hat dir nie etwas getan! Unter ihren Fingern dehnte seine Brust sich in einem tiefen Atemzug. Ganz langsam löste sich die Anspannung aus seinen Gliedern. Er murmelte er, was Unverständliches im Schlaf und seine Hand legte sich über ihre. Behutsam, um ihn nicht zu wecken, schmiegte sie sich fester an ihn, schloss die Augen und lauschte seinen Atemzügen. Schon wenig später war sie eingeschlafen.
Am Morgen erwachte sie in seinem Bett, ohne zu wissen, wie sie dorthin gekommen war. Das Zelt war verlassen. Auf dem Tisch warteten warmes Wasser zum Waschen und ein opulentes Früh, stück auf sie - daneben lehnte die Asranéh. Die Rosetten waren ausgebessert und ersetzt worden, die Risse auf der Decke verschwunden. Sie war vollständig bespannt. Rasch kletterte Lijanas aus dem Bett und griff beinah ehrfürchtig nach dem Instrument. Er hatte früher oft auf diesem Instrument gespielt, bevor ... - ihr Mund wurde schmal - bevor Jerdt ihm die Hand gebrochen hatte.
Warum hatte er sie ausgerechnet jetzt richten lassen? Ein Scharren an der Zeltklappe, im nächsten Moment kam Legatin Feniar herein, ohne auf ein »Herein! «
gewartet zu haben. Sofort runzelte die Kriegerin unwillig die Stirn.
»Ihr seid noch nicht angezogen? Nun aber los! Die Pferde sind gesattelt! Der Heerführer wartet auf Euch! « Sie warf einen Blick auf die Asranéh in ihrer Hand.
»Wie ich sehe, habt Ihr Euer Geschenk gefunden! «
»Geschenk?«, echote sie ungläubig.
»ja, Geschenk. Der Heerführer hat sie für Euch wieder richten lassen. Er sagt, er spielt nicht mehr auf dem Ding, deshalb sollt Ihr sie haben. Ein Bote wird sie für Euch nach Turas bringen, damit Ihr sie dann von dort mit nach Hause nehmen könnt.«
Lijanas starrte wie benommen auf die glänzenden Saitenbündel und die kunstvollen Ornamente der Schallrosetten. Er kann sie mir nicht schenken! Er liebt dieses Instrument! Das geht nicht! »Ich kann sie nicht annehmen! «
Die Legatin schüttelte den Kopf. »Natürlich könnt Ihr! Wenn er sagt, sie ist für Euch, dann ist sie das - und dann wird er sie nicht zurücknehmen. Eher zerschlägt er sie vor Euren Augen. -Schaut nicht so entgeistert drein! - Ich kenne ihn inzwischen gut genug. Ihr könnt mir also ruhig glauben.« Sie wedelte mit den Händen, als wolle sie ein Huhn herumscheuchen! »Nun vorwärts! Sputet Euch! «
Eilig gehorchte Lijanas. Als sie wenig später noch mit den Resten eines mit Braten belegten Brots in der Hand aus dem Zelt trat, stand Ired tatsächlich fertig bepackt auf dem Platz. Im ersten Augenblick war sie enttäuscht, hatte Mordan ihr doch ein
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