Der Kuss Des Kjer
ausnahmslos so erschöpft waren, dass sie kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnten, marschierten sie die ganze Nacht hindurch und bis weit in den Morgen.
***
Nur auf merkwürdig vage Art war Lijanas sich der Tatsache bewusst, dass sie nicht mehr schlief. Alles um sie herum erschien ihr seltsam undeutlich, wie unter einem hauchfeinen Schleier. Keiner der Männer auf den Fellen regte sich. Selbst Mordan war letztendlich Hitze und Erschöpfung erlegen. Die Hand auch jetzt noch halb nach ihr ausgestreckt, lag er auf der Seite, die sonst so harten Züge im Schlaf erstaunlich weich. Corfar, der eigentlich Wache halten sollte, war der Kopf auf die Brust gesackt.
Ohne zu wissen warum, stand Lijanas auf und trat unter dem Sonnenschutz hervor.
Der grelle Salzglanz blendete sie, wie eine zähe Fessel legte sich die Hitze enger um ihre Glieder, ließ sie keuchend nach Luft schnappen und versengte ihre Lungen, während sie mit der Hand ihre Augen vor der flirrenden Helligkeit zu schützen suchte.
Herzschläge lang stand sie völlig still, dann tappte sie mit der Sicherheit eines Träumenden los - hinein in das Flimmern aus Sonne und Sand und Endlosigkeit. Sie spürte die scharfe Salzkruste unter den Füßen nicht. Sie spürte den Wind nicht, der aufkam und sacht über den Boden strich - und ihre Spuren verwischte.
***
Endlich war sie eingetroffen! Die letzten Tage hatte er sich wie ein Gefangener gefühlt. Ein Diener hatte ihm vor einer Stunde berichtet, dass Heermeisterin Eliazanar nach ihrer Ankunft umgehend zu einer Unterredung mit Fürst Rusan befohlen worden war. Er hatte ihr bestellen lassen, dass er sie anschließend hier erwartete. Seither ging er ungeduldig im Innenhof der Gardeunterkünfte auf und ab.
»Ihr solltet Euch in Langmut üben, Ahmeer! Sonst wird Eure Unbeherrschtheit Euch einmal zum Verhängnis! « Heermeisterin Eliazanar trat aus dem Schatten des Tores, das den sandbestreuten Hof mit dem Palast verband, und kam gemessenen Schrittes auf ihn zu. Unter ihrer golddurchwirkten Schärpe steckte neben einem gebogenen Säbel ein Krummdolch. Wie immer war sie in bauschige Hosen, hohe Stiefel, ein weit fallendes Hemd und eine kurze Weste gekleidet, alles aus kostbarer Fehan, Seide in blutdunklem Rot. Er hatte sie einmal gefragt, warum sie ausgerechnet diese Farbe für sich gewählt hatte; mit einem gefährlichen Grinsen hatte sie ihm erklärt, dass so das Blut ihrer Feinde nicht zu sehr auf ihrer Kleidung zu sehen sei.
»Eliazanar! Was hat Euch so lange an der Küste aufgehalten?«
»Die Edari, Ahmeer, was sonst. Ihr wart kaum fort, als sie versuchten, ihre gefangenen Brüder zu befreien. - Ich gab jedem, der überlebte, ein eigenes Kreuz. «
Ihre braunen Augen blitzten, während sie sich eine dunkle Haarsträhne zurückstrich.
»Euer Onkel hat mir berichtet, was geschehen ist und dass er Euch erlaubt hat, selbst nach Eurer Braut zu suchen. - Was ich für äußerst unvernünftig halte, Ahmeer, angesichts der Männer, in deren Händen sich das Mädchen befindet. «
»Mein Onkel hat auch schon versucht, mich davon abzubringen ... «
»Er sorgt sich um Euch! Ihr seid sein einziger noch lebender männlicher Anverwandter und damit sein Erbe. Ihr müsst ihn verstehen! «
» Ich verstehe ihn, Eliazanar - aber ich werde nicht hier herumsitzen wie ein wimmernder Feigling und tatenlos zusehen, wie eine Kjer-Bestie meine Braut entführt! «
Rusans Heermeisterin schüttelte mit einem feinen Lächeln den Kopf. »Stolz und wild. Ihr seid noch immer der Heißsporn, den ich in den Waffen ausgebildet habe. -
Euer Onkel wird die Erlaub, nis, die er Euch gegeben hat, nicht zurückziehen. Aber er hat mir befohlen, dafür zu sorgen, dass Ihr die besten und verlässlichsten Männer mitnehmt, die es in seiner Garde gibt. «
»Und er traut mir nicht zu, sie selbst auszuwählen?«
» Ich kenne die Männer länger als Ihr, Ahmeer! Ihr werdet Euch meinem Urteil beugen! «
Um sie zu besänftigen, neigte der Prinz den Kopf Eliazanar war ihrem Geschlecht nach eine Frau - aber sie war auch einer der gefährlichsten Krieger, die er kannte.
Sie bedeutete ihm, ihr zu den Unterkünften der Gardisten zu folgen, und sprach ruhig weiter. »Außerdem hat Euer Onkel mich angewiesen, Euch alles über den Blutwolf und seinen Kreis zu erzählen, was ich weiß.«
Ungehalten fuhr Ahmeer auf. »Was gibt es da zu erzählen? Er ist ein Kjer-Krieger, skrupellos, roh, gut mit dem Schwert; seine Männer stehen ihm nur wenig nach! Aber er
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