Der Kuss des Lustdämons
und einer riesigen Blutlache nichts mehr übrig geblieben. Einige Metallteile steckten in seinem Rücken. Entsetzt wandte sie sich ab. Der Geruch von Blut drang ihr in die Nase. Ihr Kleid war angebrannt und zerrissen, blutdurchtränkt. Obendrein hatte sie sich Knie und Arme aufgeschlagen. Ein Brennen ging von den Wunden aus. In gebückter Haltung lief sie vorwärts, ihr linkes Bein leicht nachziehend. Ihr war schwindlig, und sie hatte das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Wohin sie gehen sollte, wusste sie nicht, die gesamte Anlage war in Trümmer gebombt worden. Überall lagen zerfetzte Körper, die in Flammen standen.
Langsam trat sie durch eine Rauchwolke und erstarrte, als sie vor sich einen Toten liegen sah. Sein Gesicht und der größte Teil seiner Kleidung waren verbrannt. Das rote Halstuch fing gerade Feuer.
„Henry“, flüsterte sie. „Oh mein Gott! Nein! Das darf nicht sein!“ Celice hielt sich die Hände vor den Mund und schüttelte den Kopf. „Nein! Nicht Henry! Nein!“ Die letzten Worte schrie sie hinaus. Sie fühlte ihre Wunden nicht mehr, als sie sich hinkniete und sich über die Leiche ihres Geliebten beugte. Ihre Hände konnten sich nicht entscheiden, ob sie ihn anfassen sollten oder nicht. Es war endgültig vorbei.
„Miss! Kommen Sie!“ Jemand packte sie unter den Achselhöhlen und versuchte sie wegzuzerren. Jeglicher Lebensmut war ihr entrissen. Sie wehrte sich nicht, aber sie tat auch nichts um dem Fremden, der ihr helfen wollte, entgegenzukommen. Er hob sie auf seine Arme und trug sie raschen Schrittes fort. Celice starrte noch immer in die Richtung, wo ihr Glück ein grausames Ende gefunden hatte. Ein Aufblitzen und ein ohrenbetörender Knall durchbrach ihre Trance. Danach herrschte ein Flimmern unzähliger Farben um sie herum.
„Henry.“ Ihre Stimme klang gequält. „Warum hast du mich verlassen?“ Sie fühlte sich wie gelähmt. Ihr Herz war verstummt, so wie auch das Gefühl zu leben.
„Celice!“, flüsterte eine ihr bekannte Stimme. „Es ist Zeit!“ Die Umgebung wandelte sich zu einem lilablauen Farbton.
„Zeit? Wofür?“ Sie keuchte die Worte heraus, als hätte sie gerade einen Marathon hinter sich.
„Umarme den Tod und ergebe dich dem Rad des Schicksals.“
„Tod? Bin ich gestorben?“ Die Farben wechselten zu einem dunklen Orange.
„Dein Traum ist gestorben. Es ist Zeit, einen neuen in dein Herz zu lassen.“
„Meine große Liebe ist fort. Sie ist fort.“ Ihre Stimme war so zart wie Glas. Celice schluchzte.
„Eine neue Liebe ist bereits entflammt und wird dich wärmen. Sie wird dir die Traurigkeit nehmen und dir wahre Erfüllung schenken. Du musst nur loslassen, auch wenn es weh tut.“ Um sie herum gingen die Farben in Magenta über.
„Es ist auf einmal so warm. Was ist das?“
„Es ist Gewissheit, die sich über dich legt. Nach dem Schmerz folgt Heilung. Frieden kehrt ein.“
„Frieden? Wie kann ich Frieden finden, wenn ich doch glaube, noch immer im Kampf zu sein? Lohnt es sich denn nicht zu kämpfen?“
„Dieser Kampf kann nicht gewonnen werden! Blick in die Sonne des neuen Morgens! Atme den Duft des Neubeginns! Und lass dich von neuem Leben erfüllen.“ Seine Stimme klang im gesamten Raum, der sich in einen hellen Gelbton färbte.
„Ich habe Angst. Was soll ich nur ohne ihn tun?“ Sie wollte nicht loslassen! Noch nicht! Schließlich war er doch gerade erst gegangen!
„Sch-sch. Er ist schon lange Vergangenheit. Ich bin deine Gegenwart und Zukunft. Reich mir die Hand und ich werde niemals mehr von deiner Seite weichen!“
„Nie mehr?“ In Celice wuchs leise Hoffnung. Das Gelb wurde zu hellblau.
„Nie mehr!“ Seine Stimme umschmeichelte sie. „Nimm meine Hand.“
Seine Hand? Sie hatte keinen Körper, geschweige denn eine Hand!
„Wie? Wie soll ich ...“
„Stell es dir einfach vor. An diesem Ort brauchst du nur fest daran zu glauben, und was du wünschst, wird geschehen.“ Celice stellte sich vor, dass sie ihre Hand ausstreckte. Doch nichts geschah. Sie seufzte. Die Farben wandelten sich zu einem blassen Grau.
„Zweifle nicht! Denn der Zweifel ist es, der dich vergehen lässt! Glaube an einen neuen Morgen und er wird anbrechen.“
Nun gut. Sie versuchte es erneut. Doch so sehr sie sich bemühte, es wollte ihr einfach nicht gelingen.
„Ich spüre, dass du es willst. Du hast die Kraft, die Dinge zu bewegen. Gib nicht auf! Auch ein Scheitern bedeutet einen Schritt nach vorne. Wir reifen mit unseren Niederlagen. Wir
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