Der Kuss des Lustdämons
dich daran ergötzen, wie schlecht es mir geht? Willst du Tränen sehen? Soll ich vor dir auf die Knie gehen und den letzten Rest meiner Würde auch noch verlieren?“
Henry blieb unbeweglich in der Tür stehen. Sein Gesicht war eine Maske. „Da du es ja nie geschafft hast mit deinen Gefühlen herauszukommen, will ich wenigstens jetzt ein einziges Mal die Wahrheit von dir hören. Glaubst du, ich stehe hier zum Spaß? Ja, ich würde mich an einer Emotionsregung ergötzen, wenn du mir gegenüber wenigstens mal eine zeigen würdest außer Wut! Rede mit mir, verdammt noch mal!“
Celices Wangen brannten, als hätte man ihr links und rechts eine Ohrfeige verpasst. Sie sollte Stellung zu ihren Gefühlen beziehen? Das hatte ihn doch früher auch nie interessiert. Warum jetzt? Auf diese Spielchen hatte sie keine Lust. Außerdem müsste sie dann zugeben, dass sie den Ring an Jeanine geschickt hatte. Wahrscheinlich wusste er es schon und wollte sie einfach nur provozieren. Mittlerweile war sie wirklich in Streitlaune. Da half nur die Flucht nach vorne. Sie musste hier raus. Am besten gleich zu Frau Stieling um sich dort die nächste Standpauke abzuholen. Celice schlug mit der Faust auf den Tisch, richtete sich auf und ging geradewegs auf Henry zu. Als sie ihm gegenüber stand stieg ihr der altbekannte Geruch seines Aftershaves in die Nase. Sie wollte es nicht zugeben, aber dieser Duft löste immer noch etwas in ihr aus.
„Lass mich durch“, fauchte sie ihn an.
„Ich möchte, dass du mich ansiehst und mir sagst, dass du gestern nicht wegen mir umgekippt bist und keinerlei Gefühle mehr für mich hast!“ Celice versuchte ein gleichgültiges Gesicht zu machen. Ob sie wegen ihm umgekippt war, das wusste sie nicht. Sie konnte sich kaum erinnern, was der Grund gewesen war. Aber sie hegte noch immer Gefühle für ihn. Sollte sie ihn belügen? Nein! Sie wollte am liebsten gar nichts sagen, sondern einfach nur weglaufen.
„Henry, ich habe dir nichts zu sagen. Und jetzt lass mich gehen!“
Er ließ seinen Arm sinken. „Nun gut, wie du willst. Es ist wirklich schade, dass wir nicht wie erwachsene Menschen miteinander umgehen können.“
Wie sie diesen Spruch hasste! Das erfüllte sämtliche Klischees einer Trennung. Am liebsten hätte sie ihm gesagt, dass Erwachsene es eigentlich nicht nötig haben in Wunden anderer rumzustochern. „Wenn ich zu spät komme, darfst du der Chefin das gerne erklären.“
Kopfschüttelnd und sichtlich enttäuscht trat er beiseite. Celice rauschte aus dem Raum und ließ ihn stehen. Sie ahnte, er würde bald einen neuen Versuch auf ein klärendes Gespräch starten. Er war nicht der Mann, der sich so einfach abschütteln ließ. Um mögliche sofortige Versuche im Keim zu ersticken, zog sie es vor, das Treppenhaus zum fünfzehnten Stock benutzen.
Die Situation war total verfahren. Es gab nichts mehr zu reden. Und doch war da noch immer dieses Knistern zwischen ihnen. Wie gerne hätte sie ihn umarmt ... nein! Lang genug hatte sie sich von ihm an der Nase herumführen lassen. Diesmal würde sie nicht einknicken. Celice seufzte. Was würde wohl noch alles passieren?
Mit großen Schritten nahm sie immer zwei Stufen und zog sich schließlich am Geländer hoch. Völlig außer Atem und mit einem gefühlten zweihunderter Puls kam sie oben an.
Einen Moment lang lehnte sie sich an die Wand vor der fensterlosen Stahltür der Etage. Vor der Chefin durfte sie keine Schwäche zeigen. Kassandra Stieling war eine harsche Geschäftsfrau. Was für sie zählte waren Ergebnisse. Nur so hatte sie das Magazin zu dem Erfolg gebracht, den es jetzt hatte. Sie war fünfundvierzig und setzte sich immer perfekt in Szene. Die Frau hatte einfach Stil. Ein bisschen beneidete Celice sie darum. Brummend stieß sich von der Wand ab. Sie musste ihren Körper kraftvoll gegen den schwerfälligen Stahl lehnen. Mit einem Quietschen öffnete sich die Tür und fiel mit einem Krachen hinter ihr wieder in den Rahmen.
Celice lief rechts um die Ecke und den grellen Flur mit den grauen Türen entlang. Wie in jedem Stockwerk waren die Wände in ein dunkles Gelb getaucht. Am Ende des Flurs befand sich das Büro von Kassandra Stieling.
Celice klopfte.
„Herein!“, ertönte eine Stimme von innen.
Celice trat ein. Frau Stieling saß mit übereinandergeschlagenen Beinen an ihrem Tisch vor dem Fenster und betrachtete Abzüge von einem Shooting. Sie war umgeben von großen Palmen, die das Zimmer immer wie einen Dschungel
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