DER KUSS DES MAGIERS
übereinander – so hoch wurde der Stapel gar nicht – und schloss die Hände darum.
„Das überlege ich mir alles morgen“, antwortete sie ausweichend. „Ich kann jetzt nicht mehr denken.“
„Soll ich nicht doch noch kurz mit reinkommen?“, fragte Lugo besorgt.
„Nein, das ist lieb, aber … nein.“
Er zuckte die Schultern. „Na gut. Aber ich bleib hier stehen, bis du drin bist, okay?“
Sina lächelte, beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die Wange. „Keine Angst, ich werde schon nicht geklaut.“
„Na, einen Moment lang sah es mir heute Abend aber ganz so aus“, murmelte er. „Ich hätte diesem schmierigen Zauberer doch eine verpassen sollen. Wenn der sich noch einmal in deine Nähe traut …“
„Dann hättest du ja auch zulassen können, dass ich ihn erschieße!“, entgegnete sie heftig und war selbst erschrocken. Während sie die Worte aussprach, wurde ihr bewusst, dass sie das Gefühl hatte, Lugo hätte sie mit seinem Eingreifen an etwas Wichtigem gehindert – aber das konnte ja wohl nicht sein. LeNormand hatte doch wohl nicht wirklich gewollt, dass sie ihn tötete.
Aber warum ging es ihr dann jetzt genauso wie nach dem Traum, aus dem sie regelmäßig aufschrak? Warum hatte sie das Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben?
Lugo lachte über ihren vermeintlichen Witz. „Stimmt. Das nächste Mal überlege ich mir vorher, ob ich eingreife, wenn ein Typ, der sich an mein Mädchen ranmacht, unbedingt assistierten Selbstmord begehen will.“
„Wusstest du, dass die Waffe geladen war?“, fragte Sina tonlos.
„Ach was, woher denn? Aber es waren nur noch zwei da, das konnte ja fast nur schiefgehen. Außerdem hab ich gesehen, wie schrecklich du dich gefühlt hast. Das Ganze ist einfach verantwortungslos. Wundert mich wirklich, dass die so lange damit durchgekommen sind, selbst wenn vorher noch nie was passiert ist.“
„Vielleicht war’s ja nur eine Platzpatrone, und das gehörte alles zur Show“, wandte Sina hoffnungsvoll ein.
„Baby, glaub mir, das war eine echte Waffe mit einer echten Kugel drin. Der Rückstoß war nicht ohne. Falls jemand anderes die Polizei gerufen hat, sind die jetzt gerade dabei, das Beweisstück aus der Decke zu pulen.“
Sina zweifelte nicht an seinen Worten. Lugo hatte auch eine Waffe in seiner Wohnhalle – zum Selbstschutz, falls in der Werkstatt eingebrochen werden sollte, wie er immer sagte. Und er ging mit seinem Onkel regelmäßig auf den Schießplatz.
Aber warum, warum nur hätte LeNormand wollen können, dass sie auf ihn schoss? Es nützte nichts, ihre Gedanken drehten sich im Kreis.
Immerhin hatte Lugo sie auf eine Idee gebracht. Wie hatte dieser katastrophale „Trick“ auf der Bühne zuvor funktioniert? Hatte nicht die Arbeitskollegin ihrer Mutter so von der Show geschwärmt? Sina nahm sich vor, bei passender Gelegenheit danach zu fragen.
„Jedenfalls danke ich dir für alles“, sagte sie warm und meinte es auch so.
„Gern geschehen, Baby“, erwiderte Lugo augenzwinkernd. „Dafür ist der große und starke Lugo doch schließlich da.“
Wie versprochen wartete er, bis sie im Haus war, und fuhr dann los. Sina ging direkt in ihr Zimmer, legte die Geldbündel ins oberste Fach ihres Kleiderschranks, zog das Kleid aus und hängte es ordentlich auf einen Bügel. Dann schlüpfte sie in ihren ältesten und gemütlichsten Jogginganzug.
Noch vor ein paar Minuten hatte sie gedacht, sie würde todmüde ins Bett fallen. Aber jetzt war sie unruhig und aufgedreht. Zu viele Fragen. Zu viele Fragen, die ihr nur einer beantworten konnte – und der war nicht da …
Nervös sah sie zur Uhr. Halb elf. Nein, die Kollegin ihrer Mutter konnte sie um diese Zeit nicht mehr anrufen. Außerdem würde sie ihrer Mom bestimmt davon erzählen, das ging also nicht.
Trotzdem musste Sina herausfinden, was sonst bei diesem Pistolentrick geschah.
Ihr Blick fiel auf ihren Laptop – auch etwas, was sie sich normalerweise nicht hätte leisten können, aber diesen hier hatte Mr. Snyder ihrer Mom geschenkt, als er sich ein neueres Modell zugelegt hatte.
Manchmal hatte Sina den Eindruck, dass Mr. Snyder auch privat an ihrer Mutter interessiert war und ihr deshalb öfter mal Geschenke machte. Doch ihre Mutter schien das gar nicht zu merken – oder sie ignorierte es bewusst. Schade eigentlich, dachte Sina. Mr. Snyder war nett, und sie hätte sich für ihre Mom gefreut. Es konnte ja nicht jeder Mann so ein feiger Versager sein wie ihr Vater.
Ungeduldig wartete sie, bis
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