DER KUSS DES MAGIERS
der Insel im See gespürt hatte, aber da war auch irgendetwas anderes. Eine Sehnsucht. Ein Verlangen …
Er senkte den Blick. „Gott, ich wünschte …“
Er sprach nicht weiter, doch Sina spürte es auch. Noch immer lagen seine Finger leicht an ihrem Kinn. Überwältigt von einem plötzlichen Gefühlssturm, schmiegte sie die Wange an seine Hand.
Im nächsten Moment umschloss er ihr Gesicht mit beiden Händen und küsste sie. Es war kein vorsichtiger, fragender Kuss, kein langsames Herantasten. Er eroberte ihren Mund mit einer fast verzweifelten Gier, als wäre dieser Kuss der einzige und letzte, den sie jemals haben würden.
Und Sina reagierte mit derselben kopflosen Leidenschaft. Normalerweise war sie eher zurückhaltend, doch in diesem Moment gab es für sie kein Halten mehr. Sie hatte das Gefühl, ihr Körper löste sich auf, als würden sich alle Empfindungen in ihren Lippen konzentrieren, als könnte sie auf diese Weise mit dem Mann, den sie erst zweimal in ihrem Leben gesehen hatte, verschmelzen.
Und sie wollte, dass es nie endete.
Wir müssen zurück …
Die Stimme erklang in ihr – anders wäre es auch gar nicht möglich gewesen. Aber die Worte gefielen ihr nicht. Nein, sie wollte nicht zurück, sie wollte mehr, wollte für immer hierbleiben, an diesem zauberhaften Ort, und LeNormand nahe sein.
Verzeih mir, Beloved, mir müssen zurück …
„Nein“, protestierte sie, als sie spürte, das LeNormand sich widerwillig von ihr löste.
„Sieh mich an“, verlangte er von ihr und hielt ihr Gesicht noch immer umfasst. „Es ist alles gut, was immer auch geschieht. Vergib mir bitte.“
„Aber … Warum …“
Seine Augen waren dunkel, als er ihr Gesicht losließ und stattdessen ihre Hand nahm. Seine Stimme klang rau. „Bist du bereit?“
„Nein!“, rief sie, noch immer etwas außer Atem nach dem unbeherrschten Kuss und durch seine Nähe. „Warte! Warum …“
Er schüttelte den Kopf. „Die Zeit läuft hier langsamer, aber wir können die Leute da draußen nicht ewig warten lassen. Sonst schicken sie noch einen Suchtrupp los.“
Sein Scherz misslang kläglich. Sina spürte deutlich, dass auch er hin- und hergerissen war, dass etwas ihn quälte.
Später, dachte sie. Ich werde ihn später fragen, was hier eigentlich gerade passiert. Wenn wir von dieser verdammten Bühne runter sind. Wenn …
Ihr fiel ein, dass Lugo dort draußen auf sie wartete, und reichlich spät beschlich ein schlechtes Gewissen sie. War sie denn völlig verrückt geworden, sich einem wildfremden Mann an den Hals zu werfen?
Aber er war ja kein Fremder. Er war …
Der Gedanke an Lugo ernüchterte sie etwas, und sie hob ihre Pumps vom Moos. Würde jeder dort draußen im Publikum sofort erkennen, was hier gerade geschehen war? Würde Lugo es sehen?
„Niemand wird den leisesten Verdacht schöpfen“, sagte er lächelnd und strich mit dem Finger über ihre Wange. „Du siehst zauberhaft aus. Ein wenig überrascht, aber das ist normal, schließlich erlebst du ja auch gerade echte Magie. Und für die Zuschauer sind nur ein paar Sekunden vergangen. Komm, Beloved. Showtime.“
2. KAPITEL
LeNormand ließ sie los und machte einen Schritt nach vorn, in Richtung des kleinen Bachs. Während Sina darauf wartete, dass irgendwo der Spiegelrahmen erschien, damit sie hindurchgehen konnten, veränderte sich plötzlich das Licht, und sie stand übergangslos wieder auf der Bühne. Ein Raunen ging durchs Publikum, dann brandete Beifall auf. Verwirrt blickte Sina sich um. LeNormand befand sich nicht mehr neben ihr, sondern ein Stück weit entfernt. Er stand mit dem Rücken zu ihr neben einem Tisch. Von dem Spiegel war weit und breit nichts zu sehen.
Während das Publikum applaudierte, drehte er sich um und kam auf sie zu.
„Ah, da sind Sie ja wieder, Mylady. Ich hoffe, Sie haben Ihren kleinen Ausflug genossen?“ Dabei zwinkerte er ihr zu, und Sina spürte, wie sie rot wurde.
Verflixt, sie musste sich wirklich zusammennehmen, sonst merkte Lugo sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Machen Sie mir doch die Freude, mir bei einem weiteren Überschreiten der magischen Grenze zu assistieren“, fuhr LeNormand fort. „Das möchten Sie doch auch, meine Damen und Herren?“
Die Zuschauer klatschten und feuerten sie an.
Nicht dass Sina etwas dagegen gehabt hätte, noch ein wenig länger neben LeNormand auf der Bühne zu stehen. Oder überhaupt neben ihm zu stehen. Später wollte sie in Ruhe darüber nachdenken, was geschehen war, doch im
Weitere Kostenlose Bücher