Der Kuss des Meeres
zum Schwimmen, Emma.«
Ich wasche meine Wäsche selbst. Sie muss in meinen Schubladen gewühlt haben, sonst wäre ihr nicht » aufgefallen«, dass etwas fehlt. Sucht sie etwa auch nach Kondomen oder anderen belastenden Beweisen, nach denen Moms üblicherweise stöbern? Kommt sie nach Hause, um meine Sachen zu durchwühlen? Der Gedanke nagt an meiner Laune. Ich nehme mir vor, einen neuen Badeanzug zu kaufen, der bei Galen bleibt, während ich sage: » Das erzählst du mir? Du weißt, wie verfroren ich bin.« Dabei lache ich so laut, dass es schon wieder verdächtig ist, aber Mom scheint es nicht zu bemerken. Rachel grinst jedoch.
» Versuch nicht, mir weiszumachen, du und Galen hättet nicht herausgefunden, wie ihr euch im Wasser warm halten könnt.«
» Mom!«
» Versprich mir einfach, dass du nicht ins Wasser gehst«, sagt sie, und ihre Stimme klingt wieder gepresst. » Ich will nicht, dass du krank wirst.«
» Schön. Ich verspreche es.«
» Und sei diesmal vor Tagesanbruch zu Hause. Und untersteh dich, nach alledem etwas Schlechteres als ein Einserzeugnis heimzubringen. Untersteh dich.«
Während sie spricht, forme ich ihre Worte lautlos mit den Lippen ins Telefon: Man sollte meinen, sie hätte in all den Jahren wenigstens einmal den Wortlaut verändert. Es ist ihre Standarddrohung für so ziemlich alles. Aber diesmal funktioniert es irgendwie nicht. Da ist kein Poltern zu spüren. Sie wird in letzter Zeit weich, und ich denke, es hat etwas mit der Nacht zu tun, in der ich sie beschuldigt habe, mich adoptiert zu haben. » Okay. Vor Tagesanbruch.«
» Gute Nacht, Schätzchen. Ich hab dich lieb.«
» Habdichauchlieb. Gute Nacht.«
Ich lege auf und reiche Rachel das Handy, die es gegen einen Becher heiße Schokolade mit drei riesigen Marshmallows obendrauf eintauscht. » Danke«, sage ich und schlurfe hinter ihr her in die Küche.
Rayna sitzt am Tisch und holt genügend Lackfläschchen, Nagelklipper und Polierfeilen aus ihrem Kosmetikkoffer, um ein eigenes Nagelstudio zu eröffnen. » Ich weiß, ich habe gesagt, dass ich French Nails möchte, aber mir gefällt diese Farbe wirklich gut«, erklärt sie und hält einen melonenfarbenen Nagellack hoch.
Rachel schüttelt den Kopf. » Bei deiner olivfarbenen Haut siehst du damit wie ein geschmackloser Tourist aus, Schnuckelchen.«
In der Hoffnung, eine andere Meinung zu hören, wedelt Rayna mit dem Fläschchen vor meiner Nase herum. Ich schüttele den Kopf. Schmollend lässt sie es auf den Tisch krachen, dann kippt sie den ganzen Inhalt des Koffers hinterher. » Na schön, ist da irgendeine Farbe dabei, die gut aussehen würde?«
Ich setze mich auf den Stuhl neben ihr. » Was ist Torafs Lieblingsfarbe?«
Sie zuckt die Achseln. » Die, die ich ihm gerade sage.«
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. » Du weißt es nicht, hm?«
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. » Wen kümmert das überhaupt? Wir lackieren nicht seine Zehennägel.«
» Schnuckelchen, ich glaube, sie meint damit, dass du dir die Nägel vielleicht in seiner Lieblingsfarbe lackieren solltest, um ihm zu zeigen, dass du an ihn denkst«, sagt Rachel mit einer Extraportion Fingerspitzengefühl.
Rayna reckt das Kinn vor. » Emma lackiert sich ihre Nägel ja auch nicht in Galens Lieblingsfarbe.«
Erschrocken darüber, dass Galen eine Lieblingsfarbe hat und ich sie nicht kenne, sage ich: » Äh, also, er mag gar keinen Nagellack.« Soll heißen, er hat sich noch nie dazu geäußert.
Als ein strahlendes Lächeln ihr ganzes Gesicht erhellt, weiß ich, dass ich aufgeflogen bin. » Du kennst seine Lieblingsfarbe nicht!«, ruft sie und zeigt auch noch mit dem Finger auf mich.
» Und ob ich die kenne«, erwidere ich und hoffe, in Rachels Gesicht die Antwort zu finden. Sie zuckt die Achseln.
Raynas Grinsen ist der Inbegriff von Ich weiß was, das du nicht weißt. Am liebsten würde ich es aus ihr herausschütteln, aber ich halte mich zurück. Wie immer. Weil ich Toraf geküsst habe und sie so verletzt war. Manchmal ertappe ich sie dabei, wie sie mich mit dem gleichen Ausdruck ansieht, wie am Strand, und fühle mich wie ein Schmarotzer, obwohl sie es damals verdient hatte.
Ich bemühe mich, nicht einzuknicken, und beäuge das Angebot an Nagellack, das vor mir ausgebreitet liegt. Ich lasse meine Finger über die Fläschchen streifen, ordne sie nach Farben und hoffe, dass mir eine ins Auge sticht. Aber mir fällt beim besten Willen keine Farbe ein, die er häufiger trägt. Er hat keinen Lieblingssport,
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