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Der Kuss des Meeres

Der Kuss des Meeres

Titel: Der Kuss des Meeres Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Banks
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Schüler wieder.
    Ein Raunen geht durch die Reihen und ich lächele die Zeitachse an. Mr Pinner räuspert sich. » Haben Sie denn nicht zugehört? Ich sagte, dies sei Weltgeschichte.«
    » Ich habe zugehört, aber Sie haben sich nicht klar ausgedrückt.«
    Selbst der Streber kichert. Mr Pinner fuchtelt mit den übrig gebliebenen Kursregeln in seiner Hand herum und schiebt sich die Brille auf der Nase nach oben. Das Mädchen hinter mir flüstert ihrer Nachbarin zu: » Zum Anbeißen!«, und da sie damit unmöglich Mr Pinner meinen kann, schlucke ich den Köder und drehe mich um.
    Mir stockt der Atem. Galen. Er steht in der Tür– nein, er füllt die Tür aus–, mit nichts als einem Ordner in der Hand und einer verärgerten Miene im Gesicht. Und er starrt mich schon wieder an.
    Mr Pinner sagt: » Kommen Sie nach vorn, junger Mann. Da können Sie auch für den Rest der Woche sitzen bleiben. Ich dulde keine Unpünktlichkeit. Wie ist Ihr Name?«
    » Galen Forza«, antwortet er, ohne den Blick von mir abzuwenden. Dann marschiert er zu dem Pult neben meinem und setzt sich. Zwar ist der Stuhl dazu konstruiert, einem normalen heranwachsenden männlichen Wesen Platz zu bieten, aber als sich Galen setzt, wirkt der Stuhl winzig. Hinter ihm bricht Getuschel aus, als er darauf hin und her rutscht, um es sich bequem zu machen. Am liebsten würde ich sagen, dass er ohne Hemd noch besser aussieht, obwohl ich zugeben muss, dass ein enges T-Shirt und abgetragene Jeans ihm auch ganz gut stehen.
    Trotzdem löst seine Anwesenheit Schwindelgefühle bei mir aus. Galen ist in den letzten Wochen die Schlüsselfigur in meinen Albträumen gewesen, in denen ich den letzten Tag in Chloes Leben wieder und wieder in meinem Unterbewusstsein neu inszeniert habe. Es spielt keine Rolle, ob ich fünfundvierzig Minuten schlafe oder zwei Stunden; ich krache in ihn hinein, höre Chloe näher kommen, bin peinlich berührt. Manchmal fragt sie ihn, ob er mit uns nach Baytowne kommen möchte, und er willigt ein. Wir brechen zusammen auf, statt ins Wasser zu gehen.
    Manchmal vermischt sich der Traum mit einem anderen– in dem ich in Grannys Gartenteich ertrinke. Die Ereignisse verschmelzen miteinander wie Wasserfarben; Chloe und ich fallen ins Wasser und ein Schwarm von Seewölfen erscheint wie aus dem Nichts und schiebt uns beide an die Oberfläche. Dads Boot wartet auf uns, aber ich schmecke Salzwasser statt Süßwasser.
    Mir wäre es lieber, den Traum mit dem echten Ende zu träumen– es ist schrecklich, es wieder und wieder zu sehen, aber es dauert nicht sehr lange, und wenn ich aufwache, weiß ich, dass Chloe tot ist. Bei den anderen Varianten wache ich auf und denke, dass sie noch lebt. Und dann verliere ich sie jedes Mal aufs Neue.
    Nur das Kribbeln taucht in meinen Träumen nicht auf. Ich habe es wohl vergessen. Aber jetzt ist es wieder da und ich laufe rot an. Knallrot.
    Galen wirft mir einen fragenden Blick zu, und zum ersten Mal, seit er sich hingesetzt hat, bemerke ich seine Augen. Sie sind blau. Nicht violett wie meine– wie damals am Strand. Oder habe ich mich getäuscht? Ich hätte schwören können, dass Chloe eine Bemerkung über seine Augen gemacht hat. Aber das könnte mein Unterbewusstsein genauso gut erfunden haben, wie es andere Varianten dieses Tages erfindet. Eines steht fest: Galens Angewohnheit, mich unverwandt anzustarren, habe ich mir nicht eingebildet. Oder dass er mich zum Erröten bringt.
    Ich drehe mich an meinem Pult nach vorn, falte die Hände auf der Tischplatte und richte den Blick auf Mr Pinner. Der sagt: » Also, Mr Forza, vergessen Sie nicht, wo Sie sitzen, denn das ist bis nächste Woche Ihr Platz.« Er reicht Galen ein Blatt mit den Kursregeln.
    » Vielen Dank, das werde ich nicht«, erwidert Galen. Vereinzeltes Kichern hinter uns. Es ist offiziell. Galen hat einen Fanklub.
    Während Mr Pinner über… na gut, ich habe wirklich keine Ahnung, worüber er redet. Ich weiß nur, dass das Kribbeln etwas anderem weicht– Feuer. Als würde ein Strom geschmolzener Lava zwischen meinem Pult und dem von Galen fließen.
    » Ms McIntosh?«, fragt Mr Pinner. Und wenn ich mich recht erinnere, bin ich Ms McIntosh.
    » Ähm, tut mir leid?«, sage ich.
    » Die Titanic, Ms McIntosh«, fährt er fort und steht kurz davor, richtig sauer zu werden. » Haben Sie eine blasse Ahnung, wann sie gesunken ist?«
    Omeingott, ja. Ich war regelrecht besessen von der Titanic , und zwar gute sechs Monate lang, nachdem wir sie im letzten Jahr

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