Der Kuss des Meeres
Verpflichtung, die es zu erfüllen gilt, ein notwendiger Schritt, der getan werden muss. Es kommt kaum jemals vor, dass die Erstgeborenen einander tatsächlich wollen. Aber bei diesen beiden war es anders. Es wird einstimmig berichtet, dass diese beiden schon bei ihrer ersten Begegnung zueinandergefunden haben. Doch unmittelbar vor ihrer Verbindungszeremonie haben sie sich zerstritten– worüber, weiß niemand mehr, oder niemand will es sagen, aber einige haben gesehen, wie Nalia vor Grom geflohen ist. Offensichtlich hat er sie gejagt– direkt in eine Mine, welche die Menschen gelegt haben, die zu jener Zeit überall auf der Welt Krieg führten. Grom wurde schwer verletzt. Die besten Fährtensucher beider Königreiche haben tagelang die ganze Gegend durchforstet, bis sie bekannt gaben, dass Nalia in Stücke gerissen worden sein muss. Der am Boden zerstörte und bereits verwitwete König von Poseidon beschuldigte Grom, seine einzige Tochter vorsätzlich getötet zu haben. Daraufhin schwor Antonis, niemals mehr eine andere Gefährtin zu nehmen, um nie wieder einen Erben zu zeugen– und zerstörte damit jede Chance, dass je wieder ein Nachkomme die Gaben der beiden Generäle, Poseidon und Triton, in sich vereint.
Nachdem er das Haus Triton zum Feind erklärt hatte, kam es zur endgültigen Spaltung der beiden Königreiche. Grom hat nie ein Wort darüber verloren, hat nie seine Gefühle offenbart. Aber eine neue Gefährtin hat er nie mehr gewählt.
Aber jetzt hat er keine andere Wahl mehr. Wenn Grom tatsächlich offiziell die Regentschaft von seinem Vater übernommen hat, verlangt das Gesetz von ihm, sich eine Gefährtin zu suchen. Und wenn Emma tatsächlich von Poseidon abstammt, dann ist es ihre Pflicht, diesem Gesetz zu genügen.
» Es ergibt keinen Sinn«, wiederholt Galen. » Aber ich weiß, was ich gesehen habe. Sie spricht mit Fischen. Und sie hören auf sie. Sie stammt eindeutig von Poseidon ab.«
Toraf atmet hörbar aus. » Aber wo war sie die ganze Zeit? Warum zieht sie die Gesellschaft von Menschen der unseren vor?«
» Genau das versuche ich herauszufinden, du Idiot.«
» Hör zu, kleiner Fisch, ich will nicht übermäßig kritisch sein, aber du weißt ganz offensichtlich nicht, was du tust. Du drohst, sie zu verhaften? Jagst sie den Flur hinunter? Das ist ein wenig untypisch für dich, meinst du nicht auch?«
» Ich war überfordert. Ist dir klar, wie… wie… sinnlich weibliche Menschen sind? Keine zehn Minuten nachdem ich in die Klasse gekommen bin, ist mir ein ganzer Schwarm von ihnen gefolgt. Überallhin. Selbst die erwachsenen Frauen im Büro haben mir Paarungssignale gesandt! Rachel nennt es Hormone. Sie denkt, dass Hormone auch der Grund sind, warum Emma sich so komisch benimmt und vor mir wegläuft.«
» Aber wenn Emma Hormone hat, dann bedeutet das, dass sie menschlich ist.«
» Hörst du mir nicht zu? Sie kann nicht menschlich sein. Sie hat unsere Augen. Und einen Menschen könnte ich auf keinen Fall so spüren.«
Toraf grinst. » So? Wie denn? Wie fühlt es sich an?«
» Hör auf, so wissend zu grinsen. Es ist nicht so, wie du denkst.«
» Wie ist es denn dann? Ich bin ein Fährtensucher, das hast du doch nicht vergessen? Vielleicht kann ich dir in diesem Fall helfen.«
Galen nickt. Wenn ihm hier irgendjemand helfen kann, dann ein Fährtensucher. » Zuerst fühlt es sich an, als ob … als ob … man mit einem Zitterrochen ringen würde. Und dann, wenn wir uns berühren, ist es, als würden wir über einem offenen Vulkan schwimmen. Heiß, überall. Aber es ist mehr als das. Du weißt doch, wie du dich fühlst, wenn Syrena in der Nähe sind? Du spürst ihren Puls, und du weißt einfach, dass sie da sind?«
Toraf nickt.
» Nun, bei Emma ist es nicht ganz so. Ich bin mir ihrer nicht nur einfach bewusst. Ich… ich…«
» Du fühlst dich zu ihr hingezogen?«
Galen sieht seinen Freund an. » Ja. Genau. Wie bist du darauf gekommen?«
» Erinnerst du dich an den Fährtensucher, der mich ausgebildet hat?«
Galen nickt. » Yudor. Warum?«
» Er hat mir einmal erzählt, dass… Ach, vergiss es. Es ist dumm.«
» Ich schwör dir, Toraf, ich werde dir alle Zähne einzeln ausschlagen, wenn…«
» Er hat gesagt, es bedeute, dass sie deine Gefährtin ist«, platzt er heraus. » Nicht nur irgendeine, sondern deine spezielle Gefährtin. Du spürst den Sog, der von ihr ausgeht, Galen.«
Galen verdreht die Augen. » Das habe ich schon früher gehört. Romul sagt, das ist ein Mythos.
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