Der Kuss des Meeres
dass das Gulfarium bereits geschlossen hat.
Emma tritt an den Rand des Beckens und späht hinein. Sie lässt ihre Finger über das Wasser gleiten. Drei graue Köpfe tauchen auf und stoßen begeisterte Schreie aus. Kichernd beugt sich Emma vor und legt die Hand trichterförmig über ihren Mund. Die Tiere kommen näher, als wollten sie ein Geheimnis hören.
Die Köpfe verschwinden. Als sie wieder auftauchen, hat jeder von ihnen ein Spielzeug im Maul. Sie bringen Emma ihre Schätze. Einen schwarzen Ring von der Größe eines Hula-Hoop-Reifens und zwei Fußbälle. Sie reicht die Bälle an Galen weiter, dann nimmt sie den Reifen von dem kleinsten Delfin. » Wirf die Bälle in die Mitte, Galen. Mal sehen, ob sie gut in Basketball sind.«
Kichernd gehorcht Galen. Emma hält den Reifen über den Rand des Beckens. Die Delfine kreischen erwartungsvoll. » Scht«, mahnt sie. Sie verstummen und halten inne. » Versucht, den Ball durch den Reifen zu bekommen.«
Zwei der Köpfe verschwinden. Der dritte bleibt zurück und kreischt Emma an. Sie bringt ihn erneut zum Schweigen, gerade als einer der Bälle über die Wasseroberfläche und durch den Reifen in ihrer Hand springt. Dann fliegt der zweite hoch, verfehlt das Ziel aber und streift stattdessen Emmas Haar. » Mit dieser Nummer hättest du mir fast ein blaues Auge verpasst!« Aber sie lacht und rubbelt den Tieren zum Dank über die Schnauze.
» Du bist an der Reihe«, erklärt sie dem kleinsten Delfin. Sie holt beide Fußbälle von den Tribünen und wirft sie wieder in die Mitte des Beckens. » Los«, sagt sie und macht eine scheuchende Bewegung mit der Hand. Das Tier bleibt, wo es ist, mit leicht geöffnetem Maul, als würde es lächeln.
Emma dreht sich zu Dr. Milligan um. » Sieht so aus, als würde er nicht verstehen«, sagt sie.
Dr. Milligan schnaubt. » Oh, er versteht ganz genau. Er hört einfach nicht zu.«
Das passt Emma offenbar nicht. Sie bespritzt ihn mit Wasser. » Mach schon! Was ist los? Du wirst doch wohl nicht kneifen?«
Trotzdem rührt er sich nicht vom Fleck und reißt seinen Kopf herum, als wolle er streiten. Sein Kreischen hört sich selbst in Galens ungeschulten Ohren widerborstig an. Das arme Geschöpf begreift nicht, wie nah Emma dran ist, ihm einen Klaps mit dem Fuß zu verpassen, aber Galen kennt diese angespannte, ungeduldige Haltung nur zu gut. Genau die gleiche Haltung, die sie ihm gegenüber gezeigt hat, als sie sich hier am Strand zum ersten Mal begegnet sind. Genau die gleiche Haltung, die sie Toraf gegenüber eingenommen hat, als sie Rayna anbot, bei ihr zu leben. Oder gegenüber Rachel, als sie die Flitterwochensuite für sie beide gebucht hat.
Gerade als Galen beschließt einzugreifen, fällt die Anspannung von Emmas Schultern ab. » Oh«, sagt sie leise. Sie streift ihre Flipflops ab und hievt sich auf den kalten blauen Betonrand des Beckens.
» Emma«, sagt Galen warnend, obwohl er sich nicht sicher ist, wovor genau er sie warnen will. Er und Dr. Milligan tauschen einen Blick.
» Alles in Ordnung, Galen«, sagt sie, ohne sich umzudrehen. Sie lässt die Beine in einem langsamen, beruhigenden Rhythmus im Wasser hin- und herschwingen. Die beiden größeren Delfine kommen sofort zu ihr, stupsen ihre Füße an und wühlen das Wasser um sie herum auf. Aber es ist der kleinste Delfin, der ihre Aufmerksamkeit quer über das Becken auf sich zieht, obwohl er gar nichts tut. Zögernd bewegt er sich zentimeterweise auf sie zu. Als sie die Hand nach ihm ausstreckt, taucht er unter und schießt auf der anderen Seite des Beckens wieder hoch. Emma dreht sich zu Galen und Dr. Milligan um und sagt: » Er vertraut uns nicht. Uns Menschen, meine ich.«
» Hm«, macht Dr. Milligan. » Was bringt Sie zu dieser Feststellung?«
» Sein Verhalten.« Emma legt den Kopf schräg. » Sehen Sie, wie er die Schnauze unter Wasser hält? Die beiden anderen strecken den Kopf ganz heraus. Aber er tut das nicht. Fast so, als würde er mit dem Gedanken spielen, abzuhauen. Und seine Augen. Er hat nicht diesen kecken Ausdruck wie die anderen. Seine Augen sehen ausdruckslos aus, leer. Aber nicht desinteressiert, das nicht.« Sie spritzt etwas Wasser in seine Richtung, sodass ein paar Tröpfchen auf seiner Nase landen. Er zuckt nicht einmal. » Nein, er ist definitiv neugierig. Er ist einfach… na ja, er ist traurig, denke ich.«
» Wissen Sie, ich glaube, Sie haben recht«, sagt Dr. Milligan, während sein Gesichtsausdruck irgendwo zwischen Bewunderung und
Weitere Kostenlose Bücher