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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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Stimme. Jetzt schrie diese Stimme wieder, gepeinigt, gequält, und da erst erkannte ich, dass es meine Stimme war. Ich schrie, erfüllt von einem Schmerz, von dem ich nicht einmal sagen konnte, woher er kam – von meinem Gesicht, meinem Nacken oder meinem Magen. Er explodierte wie ein gleißendes Licht in meinem Kopf. Als die vielen Funken verglüht waren, ich die Augen wieder aufschlagen konnte, mich vorsichtig zu regen versuchte, ganz dem Rhythmus dieses pochenden Schmerzes ausgeliefert, sah ich Nele aufgeregt etwas ins Handy sagen.
    »Tu es nicht!«, versuchte ich wieder zu rufen, »Nathan soll nicht kommen!«
    Aber ich brachte keinen Laut über meine Lippen. Es war zu spät.

    Ich sank auf den Felsen, schloss wieder die Augen, vergaß für einen kurzen Moment, wo ich war, wer mich bedrohte. Ich schien nicht mehr auf einem Felsvorsprung gefangen, sondern in einer Leere zu treiben, ohne Gefahren und ohne Ängste, aber auch ohne Liebe und Hoffnung, allein, öd.
    Ich blinzelte, als ich die Augen wieder aufschlug; die Sonne fiel mir direkt ins Gesicht. So schräg, wie sie stand, musste es lange nach Mittag sein. Am blauen Himmel war nicht eine Wolke.
    Wie widersinnig, dachte ich, wie widersinnig, dass das Wetter so schön ist …
    Es passte nicht, passte nicht zu diesem Tag. Irgendwo anders ging das Leben weiter, Kinder lachten und spielten, Menschen freuten oder ärgerten sich, küssten oder stritten sich. Ja, die Welt war groß – nur meine nicht. Sie war auf diesen Felsvorsprung zusammengeschrumpft – und darum herum lauerte der Tod.
    Oh, wenn es nur mein Tod gewesen wäre!
    Aber an Caspars zufriedenem Gesicht erkannte ich, dass sein Plan aufgegangen war und dass Nathan und Cara sich auf den Weg hierhergemacht hatten, wahrscheinlich mit Aurora.
    Ich hob die Hand, tastete mein Gesicht ab. Ich wusste nicht, wo und wie er mich eben verletzt und mich vor Schmerzen hatte schreien lassen. In meinem Mund schmeckte es wieder metallisch, aber vielleicht rührte dieses Blut und die taube, geschwollene Wange noch von dem Schlag her, den er mir im Krankenwagen versetzt hatte. Immerhin konnte ich all meine Glieder regen – nichts war gebrochen – und tief ein- und ausatmen.
    Ich sah hinüber zu Nele. Nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatte, hockte sie reglos, und ihr leerer Blick erinnerte mich an den des Toten. Kurz packte mich die Angst, dass sie tatsächlich tot sei, vor Schreck gestorben oder von einer der Kreaturen ausgeschaltet, weil sie keinen Zweck mehr erfüllte.
    »Nele … «, hauchte ich ihren Namen.
    Eine der dunklen Gestalten, die in der Nähe des Felsvorsprungs standen, kicherte auf. Ich fuhr zu ihr herum, musterte sie kurz, senkte dann meinen Blick vor dieser Kreatur, Caspars Zerrbild. Caspar war ohne Zweifel eine unheimliche Erscheinung, aber es gab diesen Funken, der ihn menschlich wirken ließ, seine Aura, die nicht nur Abstoßendes, sondern auch Faszinierendes ausstrahlte. Seine Gehilfen hingegen wirkten seelenlos und ferngesteuert. Ich war entsetzt, als ich erfuhr, dass Nathan Caspars Sohn getötet hatte – doch wenn ich nun an ihn dachte, stellte ich mir kein wehrloses Kind vor, sondern eines dieser widerwärtigen Wesen, wenn auch kleiner und schmächtiger, und ich verstand, dass ihm keine andere Wahl geblieben war.
    Mein Blick ging zurück zu Nele. Immer noch rührte sie sich nicht.
    »Nele!«, versuchte ich wieder zu sagen.
    Caspar trat einen Schritt vor und verstellte mir den Blick auf sie. »Das alles ist deine Schuld«, erklärte er spöttisch.
    Meine Stimme zitterte vor Grauen, aber ich hatte sie so weit unter Kontrolle, dass ich fragen konnte: »Was hast du mit ihr gemacht?«
    Er zuckte mit den Schultern, schien die Antwort hinauszuzögern.
    »Mit ihr? Eigentlich gar nichts! Aber sie hat den Ausflug auf den Berg wohl nicht so gut verkraftet. Keine Angst, sie ist nicht tot. Nur ohnmächtig geworden.« Er lachte abfällig und verdrehte zugleich die Augen – all sein Spott über das schwächelnde Menschenpack lag darin, aber auch seine Abscheu.
    Ich hoffte inständig, dass Nele tatsächlich nur das Bewusstsein verloren hatte, aber schon im nächsten Augenblick konnte ich nicht länger über ihren Zustand nachdenken.
    Ein Rauschen brauste auf, zunächst dem Wind gleichend, der durch die dornigen Büsche pfiff, dann war es ein Rascheln, als das Gras von hastigen Schritten geteilt wurde. Jemand kam angelaufen, nein, vielmehr angerast. Immer noch war mein Blick starr auf Caspars Gesicht gerichtet;

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