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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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eines besonders empfehlenswerten Horrorfilms zusammen.
    Ich schüttelte angewidert den Kopf, wollte die Sache nicht weiter vertiefen – und Nele fuhr fort, auf die anderen Hausbewohner zu schimpfen, die abends die Haustür nicht richtig zuzogen.
    Endlich packte ich meine Sachen und machte mich zum Mozarteum auf.
    Er starrte auf sein Spiegelbild, und sein Anblick widerte ihn an.
    Die Augen.
    Wie immer sah man es an seinen Augen.
    Meist konnte er perfekt verbergen, was er war, doch eine Nacht wie die gestrige hatte ihre Spuren hinterlassen. Im Weiß um seine Iris waren viele Äderchen geplatzt, und das Blut, das darin floss, war nicht rot, sondern bläulich. Es sah aus, als habe man Tinte in seine Augen getropft.
    Mit einem unwilligen Knurren senkte er den Kopf, hob die Hand und ballte sie zur Faust. Noch ehe er wusste, was er tat, schlug er gegen den Spiegel und zertrümmerte ihn. Mit leisem Klirren gingen viele kleine Scherben zu Boden und hinterließen ein klaffendes Loch. Nur an seinen Rändern war der Spiegel heil geblieben.
    Er atmete tief durch – und schämte sich augenblicklich seiner Schwäche.
    Schlimm genug, dass er sich heute Nacht auf den Kampf eingelassen hatte, ein durchaus befriedigender Kampf, aber eben auch ein leichtsinniger und vor allem ein sinnloser: Es war noch zu früh, um die Entscheidung herbeizuführen, und von dem Gefühl des Rausches war nichts als Leere, Müdigkeit, Überdruss geblieben.
    Er trat zurück, blickte zuerst auf das silbrige Meer der Scherben, dann auf seine Hände. Sie waren unverletzt. Wie sollten ihn auch lächerliche Glasscherben verletzten können?
    Er seufzte und dachte an SIE , um sich zu beruhigen.
    Er dachte an ihren Geruch, an ihre Musik, an ihre leisen Schritte, an ihre geschmeidige Gestalt. Er dachte an jene etwas schüchtern wirkende Geste, wenn sie sich die blonden Haare zurückstrich, an das Runzeln ihrer Stirn, wenn sie sich konzentrierte, und an das warme Lächeln, wenn sie sich freute.
    Als er seine Augen wieder öffnete, verblasste das Bild, das er heraufbeschworen hatte, und er sah sein eigenes Antlitz, wie es sich in den Scherben auf dem Fußboden spiegelte. In keiner einzigen war es ganz zu sehen; gespalten schien sein Gesicht vielmehr, in viele Teile zerfetzt, die nicht zusammenpassten.
    So bin ich, dachte er. Ein Zerrissener.
    Ziellos trieb er hin und her – auf diesem riesigen, unendlich weiten und leeren Ozean, aus dessen namenloser Tiefe jederzeit heimtückische Feinde auftauchen konnten. Nur wenig Trost schenkte die Ahnung eines rettenden Hafens.
    Ein Stöhnen entfuhr ihm, wieder ballte er die Hand zur Faust, doch diesmal nicht, um gegen den Spiegel zu schlagen, sondern um sich selbst einen Schwur abzuringen.
    Nicht für immer, entschied er, es würde nicht für immer so sein. Der Tag würde kommen, an dem das Blatt sich wenden würde.
    Der unheimliche Lärm im Treppenhaus und die durchzitterte Nacht waren bald vergessen. Auf den Mai folgte ein warmer und sonniger Juni. Vielleicht war es gar nicht immer warm und sonnig, vielleicht regnete es zwischendurch auch mal, aber ich bemerkte es nicht, und selbst wenn, so störte es mich nicht. Es machte mir nichts aus, dass wir einmal für einen halben Tag keinen Strom hatten – und diesmal war es keine Einbildung wie in jener Nacht –, Nele daraufhin das Gefrierfach ausräumte und ernsthaft vorschlug, alles aufzuessen, weil es sonst verderben würde – nur passten Heidelbeeren, Sauce Bolognese und Spinat leider nicht zusammen. Es störte mich nicht, dass die Touristenscharen auf der Getreidegasse täglich dichter gedrängt standen und ich einmal von einer Frau in einem gelben Kostüm böse beschimpft wurde, weil sie dachte, ich sei es gewesen, die ihr eine Kamera in den Rücken gerammt hatte. Es machte mir auch nichts aus, dass der Boden der Mensa eines Morgens von Zigarettenkippen übersät war – Reste von einem unerlaubten Studentenfest, dessen Veranstalter von allen gedeckt wurde, und ich befragt wurde, wer das Fest organisiert habe. Ich war wohl die Einzige, die nicht log, als sie sagte, es nicht zu wissen. Aber dennoch blieb ich nicht von dem bitterbösen Blick der Inhaberin des MOZ verschont. Noch bis vor kurzem wäre ich vor Scham gestorben und hätte mich schuldig gefühlt, obwohl ich es nicht war. Jetzt nicht mehr. Nie hatte ich so intensiv gelebt, gesehen, gefühlt, gerochen – und zugleich war ich nie so blind für alles andere um mich herum gewesen. Manchmal gingen Nathan und ich im

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