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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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wurde.«
    »Ja, und das war die Familie Leiningen. Es ist ein wunderschönes Gebäude, aber wahrscheinlich gibt es eine Menge zu renovieren, bevor man dort richtig wohnen kann.«
    »Tja … nach dem Sommer werde ich wohl wissen, wie viel ich noch investieren muss.«
    »Na dann – herzlich willkommen.« Sie erhob sich ein wenig von ihrem Drehstuhl und streckte mir die Hand entgegen. Ihr Druck war warm und fest.
    »Ich bin Josephine Rütting, sagen Sie einfach Josephine zu mir. Und wenn Sie irgendetwas brauchen oder wissen wollen, dann wenden Sie sich ruhig an mich. Ich wohne über dem Laden, also gleich in Ihrer Nähe.«
    »Vielen Dank.«
    Sie ließ sich wieder nieder und half mir, die Einkäufe in einer Plastiktüte zu verstauen. Ich zahlte, wandte mich zur Tür, aber blieb dann doch noch einmal stehen. »Da fällt mir ein«, setzte ich zögernd an, »meine Tochter glaubte gestern Abend, einen dunkel gekleideten Mann im Wald vor unserem Haus gesehen zu haben.«
    »Sie haben eine Tochter?«
    »Ja, Aurora. Sie ist sieben.« Ich deutete nach draußen zum Kinderspielplatz, und Josephine folgte meinem Blick. »Was für ein hübsches Mädchen.«
    Ich lächelte, wurde aber schlagartig wieder ernst. »Dieser Mann also, vielleicht hat sie sich ja getäuscht, aber auch mir schien … «
    »Caspar von Kranichstein«, unterbrach mich Josephine rasch. »Wenn, dann kann es nur er gewesen sein. Der trägt immer schwarz. Vielleicht ist das in seinen Kreisen so üblich.«
    »Seinen Kreisen?«
    »Die Kranichsteins sind eine alte Adelsfamilie – sie besitzen in dieser Gegend sehr viel Grund und Immobilien. Caspar von Kranichstein hat das Anwesen erbauen lassen, das sich schräg über Ihrer Villa befindet. Wahrscheinlich haben Sie es gesehen: dieses helle Gebäude mit der riesigen Glasfront.«
    »Ja, das ist mir heute Morgen aufgefallen.«
    »Am Anfang hieß es, Caspar würde ein Hotel daraus machen, aber er hat sich anders entschieden.«
    »Nämlich?«
    Josephine zuckte die Schultern. »Offenbar bietet er dort regelmäßig Seminare an. Eine Art Schulung für Manager oder so ähnlich. Irgendwelche hohen Tiere, die so stinkreich sind, dass sie sich so was leisten können. Caspar von Kranichstein lebt sehr zurückgezogen. Er hat in den letzten Jahren nie selbst hier eingekauft, das macht alles sein Personal. Aber es heißt, dass er gerne spazieren geht. Gut möglich, dass er gestern Abend an Ihrem Haus vorbeigekommen ist.«
    »Wie gesagt: Ich bin mir nicht sicher, ob da wirklich jemand war.«
    »Vor Caspar müssen Sie sich auf jeden Fall nicht fürchten. Er ist sehr unnahbar, sehr wortkarg. Die Leute hier sagen, dass er ein sonderbarer Kauz ist. Na ja, wenn man so steinreich ist, hat man es auch nicht nötig, sich mit dem gemeinen Volk abzugeben.«
    Sie lachte spöttisch auf.
    »Nehmen Sie den noch mit!« Sie griff nach einem Schokoriegel und hielt ihn mir hin. »Für Ihre Tochter.«
    »Vielen Dank.«
    Als ich den Schokoriegel zu den anderen Waren legte, fiel mein Blick noch einmal auf die Regionalzeitung, die riesige Schlagzeile und das unscharfe Foto des verschollenen Touristen.
    Josephine war meinem Blick gefolgt. »Und darüber müssen Sie sich auch keine Sorgen machen. Die Regionalpresse hat wenig, worüber sie berichten kann, also wird so ein Vorfall gerne aufgebauscht. Hier sind jede Menge Sportler unterwegs – die gehen schlecht ausgerüstet los, verirren sich oder werden von Stürmen überrascht. Leichtsinnige Leute! Aber zu diesen Wahnsinnigen werden Sie ja wohl nicht gehören.«
    »Nein«, sagte ich. Ich erwiderte ihr Lächeln, verabschiedete mich, verließ den Laden und rief nach Aurora.

    Die Woche, die folgte, war ruhig und entspannt. Später würde ich oft daran zurückdenken und würde dankbar sein für diese sorglosen Stunden, die mir Mut und Kraft geschenkt hatten. Noch ahnte ich nicht, wie sehr ich beides bald brauchen würde. Mit jedem Tag wurde die Villa ein kleines Stück mehr zu unserem Zuhause. Fast täglich kam vormittags ein Handwerker vorbei, um etwas zu reparieren, zu renovieren oder neu zu bauen. Nachmittags machten wir oft einen Ausflug oder erledigten Einkäufe. Mein Arbeitszimmer nahm immer mehr Gestalt an, und jetzt begann ich auch jeden Abend dort zu sitzen und an meinem Buch zu arbeiten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit ließ ich die Fenster weit geöffnet, so dass laue Abendluft, die nach Wald, Blumen und Sommer roch, das Haus erfüllte. Tagsüber lag ich häufig im Garten in der Sonne. Die Arbeit,

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