Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
Vom Netzwerk:
schließlich.
    Sie zuckte die Schulter. »Das weiß man nicht. Die Polizei will es verheimlichen, obwohl viele Vermutungen angestellt werden. Offenbar sind sie in einem grässlichen Zustand aufgefunden worden … wahrscheinlich verstümmelt.«
    »Aber wenn die Polizei mit ihren Informationen nicht rausrückt, dann ist das Ganze vielleicht doch nur künstlich von den Journalisten aufgebauscht. Vielleicht war es doch ein tragischer Unfall, mit dem man Schlagzeilen machen will.« Beim letzten Mal hatte sie mich mit leichtfertigem Ton beruhigt – jetzt versuchte ich sie zu beruhigen. Es schien mir nicht wirklich zu gelingen.
    Josephine zuckte mit den Schultern. »Ja, vielleicht … «
    Wir verabschiedeten uns, und ich beeilte mich, zu Aurora zurückzukommen. Ich versuchte, nicht an die Toten zu denken, und weigerte mich in den nächsten Tagen, die Zeitung aufzuschlagen und mich mit den blutrünstigen Spekulationen, die dort angestellt wurden, auseinanderzusetzen. Aber ich achtete jeden Abend darauf, dass die Tür sorgsam verriegelt und sämtliche Fensterläden geschlossen waren, und ich ließ Aurora keinen Augenblick mehr aus den Augen.

    Bis jetzt hatte ich die Gartenarbeit immer vor mir hergeschoben, doch nachdem ich zum dritten Mal auf dem Weg vom Haus zum Gartentor über eine Wurzel gestolpert war, entschied ich mich eines Morgens nach dem Frühstück, dem lästigen Unkraut den Kampf anzusagen.
    Ich zog Gummihandschuhe über und suchte in der Pergola nach einem geeigneten Gerät – genau genommen stand ich eine Weile ratlos davor und hatte Angst, dass Leiter, Schubkarren, Rasenmäher und das ganze andere Zeug über mir zusammenbrechen würden, wenn ich nur ein Teil aus diesem Durcheinander hervorzog. Schließlich fand ich einen Holzrechen. Ihm fehlten zwar einige Zähne, aber mit etwas Geschick konnte ich damit zumindest das Gestrüpp zusammenrechen, von dem ich mühevoll den schmalen Weg befreite.
    Aurora beobachtete meine Arbeit neugierig, aber zog argwöhnisch einen weiten Bogen um den dornigen Haufen in einer Ecke des Gartens, auf den ich im Laufe des Vormittags immer mehr Unkraut warf.
    »Und was machen wir später?«, fragte sie.
    Ich wischte mir den Schweiß aus der Stirn. Eigentlich hatte ich den ganzen Tag der Gartenarbeit widmen wollen, doch ich war körperliche Arbeit nicht gewohnt und entschied, am Nachmittag doch lieber einen Ausflug zu machen.
    »Wir können ins Salzbergwerk fahren«, schlug ich vor.
    »Was ist dort?«
    »Dort führen Stollen ganz tief in den Berg hinein. Für Touristen ist eine kleine Bahn gebaut worden, mit der man hineinfahren kann. Man sieht Salzseen, und es gibt Rutschen … «
    »Und wenn der Berg einstürzt, sobald wird drinnen sind?«
    Ich lächelte. »Das passiert nicht. Die Stollen sind uralt. Bergarbeiter bauen dort schon seit Hunderten von Jahren Salz ab.«
    Aurora verzog skeptisch ihr Gesicht.
    »Vielleicht haben sich die Menschen im Berg verirrt.«
    »Welche Menschen?«, fragte ich verständnislos.
    »Na die, die in den letzten Wochen einfach … verschwunden waren. Und die man später tot gefunden hat.«
    Ich brauchte eine Weile, um zu begreifen, wen sie meinte.
    »Diese Menschen haben sich ganz sicher nicht im Bergwerk verirrt. Vielleicht … « Ich überlegte angestrengt, wie ich vor ihr verheimlichen konnte, dass die Menschen ermordet worden waren, ohne zu lügen, doch mir blieb eine Antwort erspart, denn in dem Moment kam ein Auto angefahren.
    Ich zuckte unwillkürlich zusammen; wir lebten so abgeschieden, dass dieses Geräusch fast schon ungewohnt war. In der ganzen letzten Woche war hier erst ein Mal unerwartet ein Auto vorbeigekommen – das des Försters, der als einer der wenigen die Befugnis hatte, die Forststraße zu benutzen, in welcher die Hauptstraße mündete. Ich hörte, wie eine Autotür zugeschlagen wurde, stellte den Besen ab und ging zum Gartentor. Aurora folgte mir zögerlich.
    Als ich den teuren, schwarzen Mercedes erblickte, der vor der Villa gehalten hatte, glaubte ich, dass sich der Besitzer verfahren hatte – zumal ich den älteren Mann, der eben ausgestiegen war, nicht kannte. Doch anstatt mich nach dem richtigen Weg zu fragen, wie ich vermutet hätte, schien er keine Notiz von mir zu nehmen, sondern wandte sich einer der hinteren Türen zu, um sie zu öffnen. Erst da ging mir auf, dass er der Chauffeur sein musste – und mein eigentlicher Besucher erst jetzt den Wagen verlassen würde.
    Ich spürte, wie Aurora sich an mich presste.
    »Guck

Weitere Kostenlose Bücher