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Der Kuss des Morgenlichts

Der Kuss des Morgenlichts

Titel: Der Kuss des Morgenlichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Cohn
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«
    Ehe ich es verhindern konnte, lief sie auf Cara zu, umarmte sie fest und presste ihren Kopf an ihren Bauch. Eigentlich war ich immer froh gewesen, dass sie Cara so vertraute – nun durchfuhr mich ein schmerzlicher Stich. Ich wusste, es war kein Kampf, den wir führten, und doch dachte ich unwillkürlich: »Warum steht sie auf ihrer Seite? Warum nicht auf meiner? Ich bin doch ihre Mutter!«
    Die Mutter, die sie nicht verstand.
    Die Mutter, der das eigene Kind Angst machte.
    Die Mutter, die nicht gut genug war.
    Ich versuchte, diese Gedanken abzuschütteln, doch prompt beunruhigte mich etwas anderes noch mehr: Hatte Cara ihr womöglich von Nathan erzählt? Wusste Aurora, dass ihr … Vater in der Nähe war?
    Nein, nicht ihr Vater. Er hatte nicht verdient, dass man ihn so nannte. Er hatte sie lediglich gezeugt.
    »Ich will nicht, dass sie geht, bitte Mama, sie muss bleiben.« Ihre Umarmung verstärkte sich, während ich ohnmächtig meine Hände rang.
    »Sophie«, Cara versuchte ruhig zu klingen, sachlich. »Sophie, wir müssen nicht über … ihn reden, wenn du nicht willst. Es kann alles beim Alten bleiben. Ich komme jeden Tag, damit du arbeiten kannst.«
    Allein der Gedanke, mich an den Laptop zu setzen und Texte zu schreiben, als wäre nichts geschehen, war unsinnig.
    »Ich weiß, es gibt so vieles, was du im Moment nicht verstehst, aber … «
    »Kein Wort!«, drohend hob ich die Hand.
    »Ich möchte doch nur in Auroras Nähe sein«, erklärte sie schlicht.
    War sie mit Nathan verwandt? Rührte daher ihr Interesse an meinem Kind?
    Seufzend ging ich die drei Möglichkeiten durch, die mir blieben. Ich konnte auf Caras Vorschlag eingehen und so tun, als hätte es den gestrigen Abend nicht gegeben. Ich konnte mich über Auroras Wunsch hinwegsetzen und sie fortschicken. Oder ich konnte die vielen Fragen stellen, die mich quälten.
    Für Letzteres fehlten mir Kraft und Mut. Und noch undenkbarer war, etwas zu tun, was Aurora weh tat. So blieb nur die erste Möglichkeit.
    Mit lautem Knall schloss ich die Haustür, während Aurora Cara ins Wohnzimmer zog.
    »Kein Wort über ihn«, murmelte ich – und verschanzte meine Kränkung, Verwirrung und Verletztheit hinter einer ausdruckslosen Miene.
    Cara nickte und ließ ebenfalls kein Gefühl erkennen. »Ich verspreche es.«

    Rückblickend erscheint es mir lächerlich, dass ich je geglaubt hatte, einfach so zur Tagesordnung zurückkehren zu können. Zunächst schien es mir zwar möglich. Aber der Preis, den ich zahlte, war hoch. Wie eine Schlafwandlerin ging ich durchs Leben, und sämtliche Gefühle waren wie tot. Aurora spürte es, Cara spürte es, und ich spürte es auch. Die beiden schlichen um mich herum wie um eine Kranke, von der alles, was sie auch nur im Geringsten aufregen könnte, ferngehalten werden musste. Alles, was ich machte oder sagte, fühlte sich so absurd an, als wäre es Teil eines Theaterstücks, in dem jeder weiter seine Rolle spielt, obwohl die Bühne schon längst in Flammen steht.
    Ich stürzte mich in meine Arbeit, bis mir der Kopf rauchte. Nie hatte ich so viele Textmengen in so kurzer Zeit produziert, doch sobald ich meinen Computer ausschaltete, wusste ich nicht mehr, was ich überhaupt geschrieben hatte.
    Lange hatte ich die Gartenarbeit vor mir hergeschoben – nun wütete ich wie eine Wilde, um all das Unkraut und die wildwachsenden Büsche aus den Blumenbeeten und der Wiese zu reißen. Hinterher wirkte das Grundstück nicht gepflegter, sondern so aufgewühlt, als wäre eine Herde Nashörner darübergerast. Als ich mir die erdigen Hände wusch, betrachtete mich Aurora stumm. Ich merkte, dass mein Verhalten sie verstörte, aber ich konnte es ihr nicht erklären – wie auch? Sollte ich ihr sagen, dass ihr Vater wie aus dem Nichts aufgetaucht war? Und das bei ihrem Kindermädchen?
    Ich konnte es kaum aushalten und suchte nach einer Gelegenheit, ihrem Blick zu entkommen. Zu Fuß lief ich zu Josephines Laden, und als wie immer die kleine Glocke schrillte, hatte ich das Gefühl, in eine herrlich normale Welt zu kommen, in der nur die Frage zählt, ob man für den Nachmittagskaffee noch genügend Milch hat.
    Wahllos begann ich Dinge in meinen Einkaufskorb zu legen, darunter vieles, was ich nicht brauchte: Apfelkompott, Knuspercornflakes und gleich mehrere Rollen Frischhaltefolie.
    Josephines Lächeln wirkte besorgt, als sie mich betrachtete.
    »Sie sehen nicht gut aus. Macht Ihnen die Sache mit dem Toten zu schaffen?«
    Im ersten Moment hatte ich

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