Der Kuss des Morgenlichts
Geräusch, das ich dadurch verursachte. Ich sah, dass Cara und Aurora mir gefolgt waren und nun ratlos am Gartentor stehen blieben. Cara legte ihre Hände auf Auroras Schultern, als wollte sie sie trösten.
Hastig wandte ich mich ab und startete das Auto. Als ich vorhin von Josephine zurückgekommen war, hatte die Dämmerung eingesetzt. Nun begann die Dunkelheit die Reste jenes rötlichen Abendlichts zu schlucken, das die gekräuselte Oberfläche des Sees golden färbte. Schon als ich den Wald durchquert hatte, lag er nicht länger leuchtend, sondern blass und kalt hinter mir.
Mehrmals blickte ich in den Rückspiegel und betrachtete den Cellokasten. Ich sprach fluchend mit ihm, als wäre das Instrument ein menschliches Wesen, mit dem sich streiten und das sich verjagen ließ. An der Kreuzung zur Hauptstraße wäre ich fast in einen Kleinbus gerast. Der Fahrer schrie mir irgendetwas zu und fuchtelte mit den Armen. Entschuldigend hob ich die Hände. Jetzt war die unerträgliche Anspannung ein wenig gewichen – zumindest bis ich Caras Haus erreicht hatte. Als ich davor hielt, begann neuer Zorn in mir zu brodeln. Ich stieg aus, holte das Cello vom Rücksitz und schlug die Autotür mit einem Knall zu. Selbst die Abendluft konnte mein erhitztes Gesicht nicht abkühlen.
Ich lief zum Hauseingang, läutete einmal, zweimal, immer wieder. Nichts geschah. Ich lief um die Ecke, sah, dass zumindest in einem Zimmer – wenn ich mich recht erinnerte, dem Wohnzimmer – Licht brannte. Ich läutete wieder; immer noch wurde mir nicht geöffnet.
»So einfach machst du dich nicht aus dem Staub«, rief ich empört.
Nach weiteren fünf Minuten begann ich an die Haustür zu hämmern. »Nathan! Nathanael Grigori! Mach mir endlich auf! Ich weiß, dass du hier bist. Wie kommst du auf die Idee, meiner Tochter dein Cello zu geben? Was denkst du dir, hier einfach aufzutauchen? Du Mistkerl! Du verfluchter Bastard! Du …!«
Ich schrie, bis meine Stimme heiser wurde, und als ich nicht mehr schrie, weinte ich. Die Hysterie hatte ich eben noch bezwingen können – nicht aber diese tief sitzende Trauer, diese Verzweiflung.
»Verdammt!« Ich wischte die Tränen aus meinen Augen. »Verdammt, verdammt, verdammt!«
Als ich endlich schwieg und auch mein Schluchzen aufgehört hatte, glaubte ich ein Geräusch zu vernehmen. Ich war mir nicht sicher, aus welcher Richtung es kam, aber ich ließ das Cello beim Hauseingang stehen und lugte um die Ecke in den Garten. Die hohe Hecke wirkte in der Dunkelheit wie eine schwarze Wand, das Biotop mit den Seerosen wie ein Loch. Niemand war zu sehen.
Ich wollte wieder zurück zur Haustür gehen und erneut läuten, doch da hörte ich das merkwürdige Geräusch zum zweiten Mal. Es klang wie das Klirren von Gläsern, nur lauter und bedrohlicher, und als es wieder und wieder ertönte, regte sich in der Tiefe meines Gedächtnisses eine Erinnerung. Dieses Klirren … ich hatte es schon einmal gehört … damals in Salzburg … im Treppenhaus unserer Wohnung … ich hatte die Polizei gerufen, und die Beamten hatten diese bläuliche Blutspur entdeckt …
Dicht an die Hauswand gepresst, ging ich in den Garten und auf die Nordseite des Grundstücks. Es war nicht von einer Mauer oder Hecke begrenzt, sondern von riesigen Tannen, ähnlich wie der Garten meiner Villa. Kaum konnte ich die beiden Gestalten ausmachen, die sich vor den riesigen Bäumen aufeinander zubewegten und die fast gänzlich mit der Dunkelheit verschmolzen; nur am Klirren und am Keuchen vernahm ich, dass sie überhaupt hier waren.
Ich stand, starrte und fühlte mich wie vorhin, als ich Aurora mit dem Cello ertappt hatte und etwas sehen musste, was es eigentlich nicht geben konnte, was mir womöglich ein krankes Gehirn vorgaukelte.
Doch meine Sinne trogen mich nicht, auch wenn ich es mir insgeheim wünschte: Vor mir kämpften zwei Männer erbittert gegeneinander – mit riesigen Schwertern.
Ein nervöses Kichern stieg in mir hoch, brach schließlich aus mir heraus. Vielleicht war es Ausdruck von Hysterie, vielleicht echter Belustigung. Wenn es auch wirklich und keine Halluzination war, was sich vor meinen Augen zutrug, so konnte es doch unmöglich ernst gemeint sein. Es war eine Maskerade, der lächerliche Versuch zweier erwachsener Männer, wie kleine Jungs miteinander zu spielen. Sie probten für ein Theaterstück, sie wollten ihren Kindern eine Freude machen, sie hatten ein verrücktes Hobby, sie …
Meine Gedanken rissen ab.
Noch lauter als mein
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