Der Kuss des Morgenlichts
Kichern war das Klirren der Schwerter. Und sie trafen nicht etwa spielerisch aufeinander, sondern wütend, entschlossen, unerbittlich. Das Lachen blieb mir im Hals stecken, als Mondlicht auf die beiden fiel und ich im kalten blauen Schein ihre Gesichter sehen konnte. Ich wusste nicht, was mich mehr erschreckte: Dass ich sie beide erkannte – es waren Caspar von Kranichstein und Nathan –, oder dass sie so verzerrt waren, voller Hass, voller Wut und Anspannung. Die Luft um sie herum schien förmlich zu flirren, als wäre sie elektrisch aufgeladen und ein Bannkreis um die beiden gezogen, der es jedem Beobachter unmöglich machte, näher zu treten, ohne in Flammen aufzugehen und zu verkohlen. Ich wich zurück, vielleicht wurde ich aber auch von einer unsichtbaren Macht gegen die Hauswand geschleudert.
Der Kopf brummte mir, dennoch konnte ich nicht aufhören, die beiden anzustarren. Die ungewöhnlichen Schwerter, die einem mittelalterlichen Museum zu entstammen schienen, hüfthoch und aus Stahl, mit perlenbesetztem Knauf und scharfer Klinge, waren längst nicht mehr das, was mich am meisten verwirrte. Es war vielmehr die Kraft, mit der sie aufeinander losgingen und einschlugen – übermenschliche Kraft. Die Schwerter schienen in ihren Händen keinerlei Gewicht zu besitzen, obwohl es wahrscheinlich schon große Anstrengung kostete, nur den kostbar verzierten Knauf zu halten. Ebenso unglaublich war das Tempo, in dem sie sich bewegten – aufeinander zuliefen, zurückwichen, sprangen, sich drehten, die Waffen hoben und niedersausen ließen, sich duckten und sich wieder aufrichteten. Es war, als würde dieser groteske Tanz im Zeitraffer vor mir ablaufen. Wenn ich vermeinte, ein Schwert herunterfahren zu sehen, war es längst wieder erhoben. Binnen Sekunden wechselten sie ihre Positionen, überwanden selbst Abstände von vier, fünf Metern mit einem einzigen Sprung.
Es war grauenhaft, diesen Kampf zu sehen – und zugleich faszinierend und berauschend. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals etwas so Schönes, trotz aller rohen Gewalt so Geschmeidiges und Elegantes gesehen zu haben. Jede Bewegung schien Teil einer sorgfältig ausgefeilten Choreographie, ja, einer komplizierten akrobatischen Übung, die nur gelingen konnte, wenn jede Bewegung in langem Training und mit großer Anstrengung einstudiert worden war.
Ich hatte die beiden als Caspar und Nathan erkannt, und doch erschienen sie mir nach einer Weile so fremd, als hätte man ihre Körper lediglich als Vorlage genommen, um am Computer eine ungleich perfektere Animation zu erstellen.
Trotz des Kampfes sprachen sie miteinander, Nathan raunend wie immer, Caspar mit dieser metallischen, zischenden Stimme, die unangenehm in den Ohren klang. Zunächst war mein Verstand zu gelähmt, um den Sinn der Worte erfassen zu können. Selbst wenn sie in einer fremden Sprache geredet hätten, hätte ich sie nicht weniger verstehen können. Doch dann versuchte ich, mich mit aller Macht zu konzentrieren und ihre Worte zu verstehen.
»Nun, hast du schon genug?«, spottete Caspar.
»Du kannst mich nicht besiegen, das weißt du genau«, hielt Nathan dagegen.
»Wer sagt, dass ich dich besiegen will? Denkst du tatsächlich, dies wäre schon der eigentliche Kampf? Es ist doch nichts weiter als eine kleine Spielerei … zum Warmwerden.«
»Und warum bist du dann so erschöpft?«
»Von wegen erschöpft! Ich könnte stundenlang so weitermachen. Hast du etwa Angst?«
»Vor dir gewiss nicht!«
Während sie miteinander sprachen, waren sie in einigem Abstand voneinander geblieben. Nun gingen sie wieder aufeinander los, jedoch ohne eine Entscheidung herbeizuführen. Sie waren einander absolut ebenbürtig. Wann immer der eine zurückwich, war er schon Sekunden später wieder der Überlegene und umgekehrt. Einmal glaubte ich zu sehen, dass Caspars Schwert Nathans Arm aufritzte, und ich schlug mir die Hand vor den Mund, um nicht vor Angst aufzuschreien. Doch Nathan kämpfte weiter, als sei nichts geschehen. Der Stoff seines Hemdes war zerrissen, aber es floss kein Blut. Keiner der beiden zeigte Anzeichen von Erschöpfung. Das Tempo schien vielmehr zu- statt abzunehmen. Immer wendiger wurden ihre Bewegungen, immer schneller die Drehungen, immer höher die Sprünge. Es war, als hätten sie die Fähigkeiten sämtlicher Spitzensportler – Hochspringer, Sprinter, Eiskunstläufer – in sich vereint.
Irgendwann konnte ich den Anblick nicht mehr mithalten. Ich schloss die Augen – bis plötzlich
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