Der Kuss des Satyrs
Gras und die Wildblumen, die sich um ihre Knöchel wickelten. Direkt vor ihnen lag drohend der Wald aus Eichen, Oliven- und Holunderbäumen, dicht und undurchdringlich.
Nick zog an ihrer Hand, als sie am Rand des Waldes stehen blieb.
»Wohin gehen wir?«, fragte sie.
»Das wirst du schon sehen. Komm.«
Der Wald öffnete sich und verschlang sie. Jane spürte nichts von der Unsicherheit, die die riesigen Bäume ihr gegenüber einst ausgestrahlt hatten. Es gab nur noch Akzeptanz.
Die Dunkelheit zwischen den silbrigen Stämmen war tiefschwarz, aber Nick ging schnell und schob sie mit einer Hand an ihrer Hüfte vorwärts. Er kannte den Weg. Hin und wieder drückte er ihre Schulter, damit sie sich unter einem überhängenden Ast durchduckte. Irgendein Instinkt warnte ihn vor Hindernissen, die sie nicht sehen konnte.
»Eine Fackel wäre jetzt von Nutzen«, meinte Jane, als er sie davor bewahrte, über die Wurzel einer Eiche zu stolpern.
»Ich bin diesen Weg unzählige Male gegangen«, murmelte er. »Ich könnte ihn blind zurücklegen.«
Sie gingen einige Minuten lang schweigend weiter, bis Jane wieder danach fragte, wohin sie unterwegs waren.
»Wir haben Vollmond«, antwortete er ausweichend.
Ihr Herz schlug schneller. »Ja, ich weiß.«
Es war das erste Mal nach der Geburt ihres Kindes. Ihr Körper war ungeduldig, voller Erwartung dessen, was zwischen ihnen passieren würde. Sie hatte dafür gesorgt, dass Emma und Vincent früh im Bett und in der Obhut ihrer neuen Dryaden-Kindermädchen waren. Die Nacht gehörte ganz allein Nick und ihr.
Ein Stern schien auf Nicks Gesicht, und er warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu, den sie sich nicht erklären konnte. »Auch meine Brüder sind davon betroffen.«
Eine Vision von Nicks zurückhaltendem Bruder Raine erschien vor ihrem geistigen Auge. Es war schwierig, ihn sich beim Liebesakt vorzustellen. Bei Lyon lag die Sache anders, aber sie verdrängte rasch jeglichen Gedanken an Nicks Brüder in den Fängen der Satyr-Leidenschaft.
»Ich habe nie daran gedacht, dass sie … das machen könnten.«
»Sie brauchen bei Vollmond dieselbe Erleichterung wie ich. Während der letzten beiden Vollmondnächte, die ich mit dir im Kastell geblieben bin, haben sie sich ohne mich an unserem geheimen Versammlungsort im Wald getroffen.«
»Aber sie sind nicht verheiratet. Mit wem …?«
»Sie vergnügen sich mit Nebelnymphen.«
Jane brauchte einen Moment, um diese Information zu verdauen.
»Wenn es passiert, dann fühle ich ihre Leidenschaft«, fügte Nick hinzu.
»Wie meinst du das?«
»Wir Satyre sind über unser Blut miteinander verbunden. Wir wissen es, wenn die anderen körperliche Erfüllung erleben.«
»Wenn du weißt, wann deine Brüder Verkehr haben, bedeutet das dann, dass auch sie wissen, wenn wir …?«
»Uns paaren?«, fragte er und hob sie über einen schmalen Bach. »Sie kennen keine Einzelheiten, nur dass du mir Vergnügen bereitest.«
»Oh«, sagte sie schwach.
»Du brauchst dich nicht zu schämen. Wenn einer von uns erregt ist, dann freuen sich die anderen und profitieren davon.«
»Ich frage mich, ob ich solche gedanklichen Verbindungen zu meinen Halbschwestern haben werde.«
Nicks Interesse war geweckt. »Ein faszinierender Gedanke. Bitte sag es mir, wenn sie in unsere Familie aufgenommen wurden und sich mit meinen Brüdern vermählt haben. Wir leben schon so lange mit dieser Vertrautheit zwischen uns, dass sie uns zur zweiten Natur geworden ist. Es ist besonders stark in Vollmondnächten. Und natürlich während der Bacchanalien.«
»Eine Feier zur Verehrung Bacchus’, des Gottes des Weins und der Trunkenheit?«, fragte Jane.
Nick hielt einen silbrigen Ast beiseite, an dem die Oliven dicht an dicht hingen, damit sie passieren konnte, bevor er antwortete. »Richtig. Es ist ein dreitägiger Ritus, der zur herbstlichen Tagundnachtgleiche begangen wird.«
»Ist es so ähnlich wie eine Vollmondnacht?«
»Wilder. Noch leidenschaftlicher.«
»Ich frage mich, ob ich das überlebe«, zog sie ihn auf.
Er blieb stehen und zog sie an sich, seine Handflächen umfingen ihre Rippen. Sie spürte seine starke Erektion an ihrem Bauch, während er in ihr Haar murmelte. »Körperliche Freude wird sich in uns aufbauen wie das Wiedererwachen der Reben in Vorbereitung auf die Trauben, die irgendwann bis zum Zerplatzen anschwellen werden – reif, saftig, süß. Die Leidenschaft ist stärker. Unbeschreiblich. Du wirst sehen.«
Er ließ sie los. Sie war völlig
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