Der Kuss des Verfemten
Blick auf Isabella. Ihre Finger strichen über Martins Oberschenkel.
Diese körperliche Vertrautheit schmerzte Isabella, und gleichzeitig wurde sie wütend über das Gefühl.
Martin verdrehte die Augen und lächelte. »Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?«, meinte er. »Immerhin fehlt uns doch hier eine gewisse … Kultur!«
Er warf wieder einen grinsenden Seitenblick auf Isabella. Er spürte, dass er sie getroffen hatte. Ihr Stolz verbot einen lauten Aufschrei, aber ihr Gesicht verriet die mühsam bewahrte Beherrschung. Er würde sie schon noch weich bekommen! Und dieser beißende Spott schützte ihn vor dem alles verzehrenden Feuer, das Isabella in ihm entfacht hatte. Er durfte es nicht auflodern lassen.
Isabella presste die Zähne zusammen und blickte wütend auf Konstanze. Sollte sie im Badezuber ersaufen! Sie erhob sich heftig, um die Tafel zu verlassen. Es war unhöflich, denn Martin saß noch auf seinem Stuhl und dachte nicht daran, die Tafel aufzuheben. Doch an diesem Raubritterhof schien sich niemand um Höflichkeit zu kümmern. So fühlte auch Isabella sich nicht dazu verpflichtet. Sie wirbelte herum und stolperte über Konstanze, die noch immer neben Martins Stuhl auf dem Boden hockte und zärtlich über seine Knie strich.
Mit einem schmerzhaften Aufschrei stürzte Isabella. Unsanft schlug sie mit den Knien auf den Steinboden auf. Die geschnittenen Binsen, die den Boden bedeckten, milderten den Sturz kaum. Isabella fing sich mit den Händen ab und hockte nun auf allen vieren neben der Tafel. Sie spürte das Blut in den Kopf steigen, und eine unbändige Wut erfasste sie. Dem überraschten Schrei der Umsitzenden folgte gleich darauf dröhnendes Gelächter.
Martin sprang auf und hob Isabella einfach auf seine Arme. »Habt Ihr Euch verletzt, Hoheit?«, fragte er. Er blickte in ihr puterrotes Gesicht, auf dessen Stirn sich zwei tiefe, steile Falten eingegraben hatten.
»Nein! Lasst mich runter!«, wetterte sie.
»Ich denke gar nicht daran!«, erwiderte er lachend und trug sie auf den Armen aus dem Saal hinaus.
Isabella zappelte und strampelte. »Ruhig, Prinzessin, sonst lasse ich Euch noch fallen«, versuchte Martin sie zu beruhigen. Er sprang leichtfüßig über die Jaucherinnsale, die den Hof durchzogen.
»Räuber!«, keuchte sie und wand sich in seinen Armen. Martin strauchelte, Isabella entglitt ihm und landete mit einem lauten Platsch in einem der Rinnsale.
Die Burgbewohner drängten hinaus in den Hof und krümmten sich vor Lachen, als sie sahen, wie Isabella sich triefend von brauner Jauche aufrappelte und an sich herunterblickte.
»Es tut mir wirklich leid«, stammelte Martin, der auch einen Teil der unerquicklichen Nässe abbekommen hatte.
»Ach, wirklich?« Isabella packte einen Batzen des dampfenden Schweinemists und warf ihn nach Martin. In ihrer blinden Wut zielte sie doch ziemlich genau, und sie traf Martins Hals.
Einen Augenblick blieb er wie angewurzelt stehen, als sich eine übel riechende Spur über seine Brust hinabzog. »Donnerwetter!«, sagte er nur. Die Verblüffung wich schnell einem anzüglichen Grinsen.
»Jetzt haben wir wirklich einen Grund, gemeinsam in den Badezuber zu steigen!«
Er zog Isabella in seine Arme. Ihr Gesicht war ganz nah dem seinen, winzige Jauchespritzer überzogen es wie kleine Sommersprossen. Seine Augen glitzerten verräterisch. Ihre verführerischen Lippen waren so nah. Ihn interessierte nicht, dass vierzig Augenpaare auf sie starrten. Er wollte sie küssen, jetzt und hier, so wie sie war. Er spürte Isabellas rasendes Herz an seiner Brust und verlor die Beherrschung. Heftig presste er seinen Mund auf ihre Lippen und verspürte selbst den Schmerz dieses Kusses. Isabella erstarrte. Mit weit aufgerissenen Augen blickte sie an seinem Gesicht vorbei auf die grinsenden Zuschauer. Überdeutlich sah sie Gesichter, gebleckte Zähne, hämisches Lachen. Jeder schien ihr diese Demütigung zu gönnen. Außer Konstanze. Ihre Augen brannten in abgrundtiefem Hass.
Mit einer heftigen Bewegung stieß Isabella Martin von sich. Ohne ein weiteres Wort fuhr sie herum und verschwand im Gang zu ihrer Kammer.
Martin blickte ihr nach. Er kämpfte gegen die widerstreitenden Gefühle in seiner Brust. Dann ging er langsam zum Brunnen.
*
»Ich habe mich nicht wie ein Ritter benommen!«, klagte Martin und zurrte heftig am Sattelgurt seines Pferdes.
»Allerdings, aber was kann dein Pferd dafür?«, fragte Rudolf. Er stand kopfschüttelnd hinter seinem Freund und hielt
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